: Wo „wir“ stehen
Der Hit „Wir sind wir“ läuft auf allen Musikkanälen: Nationalismus in windelweichen Pop verpackt
Man sieht den Deutschen Reichstag, den Schriftzug „Dem deutschen Volke.“ Ein Bild von 1945. Schnitt auf das Gesicht von Peter Heppner, dem Sänger der Band Wolfsheim, den einige Leute bislang nur durch die Zusammenarbeit mit Joachim Witt („Die Flut“) kennen. Heppner hat eine markante Stimme und große hervortretende Augen, dunkel umrandet. Doch ist dies kein Bühnenoutfit für romantisch veranlagte Dark-Wave-Pubertierende, in diesem Video geht es um Geschichte. Deutsche Geschichte. Schnitt. Luftbildaufnahme vom zerstörten Berlin. Im Hintergrund bereits, leise, wie in einem Lehrfilm, elektronische Musik. Doch wird kein Dokumentarfilm untermalt, nein, Geschichte hier ist scheinbar Beiwerk für die Musik.
Das Video zu dem Track „Wir sind wir“ von Paul van Dyk, dessen Text Heppner singt, ist deutlich inspiriert von der Guido Knopp’schen Dokukunst. Wie auch der Text. Heppner und van Dyk sagen, sie seien auf die Idee zu diesem Song gekommen, als sie den Film „Das Wunder von Bern – Die wahre Geschichte“ des ZDF-Haushistorikers gesehen hätten. „Wenn ich durch diese Straßen geh, / Seh ich wie die Ruinen dieser Stadt / Wieder zu Häusern auferstehen“ singt Heppner, ein einbeiniger Wehrmachtssoldat humpelt währenddessen an ihm vorbei. „Das kann’s noch nicht gewesen sein. / Keine Zeit zum Traurigsein.“ Anschließend Trümmerfrauen, dann Szenen aus dem Finalspiel der WM 1954, dann Aufbau Ost, der Mauerbau, Luxus West, die Dekadenz. Heppner singt zu diesen Bildern: „Aufgeteilt, besiegt und doch, / Schließlich leben wir ja noch.“ Später, man sieht Westdeutsche einen Volkswagen waschen: „Jetzt ist mal wieder alles anders / Und was vorher war, ist heute nichts mehr wert. / Jetzt können wir haben, was wir wollen, / Aber wollten wir nicht eigentlich viel mehr?“
Was vorher war, ist nichts mehr wert. Vorher war der Nationalsozialismus, vorher haben die, die jetzt keine Zeit zum „Traurigsein“ haben, die „aufgeteilt“ und, so die Reihenfolge der Erzählung, erst dann „besiegt“ wurden (anders als die neuerdings beliebte Sprachregelung: „befreit“), den Zweiten Weltkrieg entfesselt und haben sechs Millionen europäische Juden ermordet. Doch davon redet Heppner nicht, wenn er singt: „Doch bleiben viele Fenster leer, / Für viele gab es keine Wiederkehr. / Und über das, was grad noch war, / Spricht man heute lieber gar nicht mehr.“ Das, worüber man nicht mehr spricht, wollte man, folgt man der Logik des Textes, doch „eigentlich“ mal.
Schließlich heißt es: „Wir sind wir! Wir stehen hier! … Das ist doch nur ein schlechter Lauf. / So schnell geben wir doch jetzt nicht auf.“ Nationalismus in windelweichem Pop verpackt. Mitte der Neunziger sah eine alarmierte Linke vom rechten Rand aus einen Kulturkampf geführt, in der Jungen Freiheit las man Gramsci und redete davon, via Popkultur rechtes Gedankengut in den Mainstream zu tragen. Heppner und seiner Band Wolfsheim – ebenso wie dem Duo Heppner-Witt – wurde eine Neigung zu dieser neuen, sich modern gerierenden Rechten nachgesagt. Dass erregte einige Zeit auch die Gemüter. Heute nicht. Das Video läuft auf den einschlägigen Kanälen. Der Song ist ein Hit. JÖRG SUNDERMEIER