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Archiv-Artikel

Ein verlorener Sohn

Am Schachbrett hat Bobby Fischer 1972 für die USA eine wichtige Schlacht im Kalten Krieg gewonnen. 32 Jahre später kämpft er nun in Japan gegen seine Auslieferung – in die USA

VON HARTMUT METZ UND ARNO FRANK

Mag sein, dass es im ideologischen Duell der Supermächte um die ganz großen Fragen ging. Wer gewinnt das Wettrennen zum Mond? Wer konstruiert die wirkungsvollsten Wasserstoffbomben? Wessen Wirtschaft wird sich als effektiver erweisen, welches Gesellschaftssystem sich durchsetzen? Dabei haben die USA den Kalten Krieg schon lange vor 1989 für sich entscheiden können. Nicht in Vietnam, auf dem Mond oder an der Börse. Sondern an einem Spielbrett mit 32 Figuren, 1972 in Reykjavík. Als ein junger Amerikaner den sowjetischen Schachweltmeister nicht nur entthronte, sondern auch demütigte.

Wenn Boris Spasski einen Zug machte, dann nur nach Abstimmung mit seinem hochkarätigen Beraterstab, darunter allein 35 russische Großmeister. Bobby Fischer dagegen, damals 29, reiste völlig alleine an. Mit Verspätung und so widerwillig, als ginge es um ein lästiges Trainingsspiel – und nicht um eine ideologische Entscheidungsschlacht des Kalten Krieges.

US-Präsident Richard Nixon schickte dem störrischen Fischer deshalb sogar seinen Außenminister auf den Hals: „Ich sagte Fischer, er solle seinen Arsch nach Island schwingen“, erinnerte sich Henry Kissinger später. Als Fischer in Reykjavík schließlich das Turnier der Turniere im Spiel der Spiele gewonnen und die jahrzehntelange Hegemonie der Sowjets gebrochen hatte, kehrte er als Held nach New York zurück.

Ein sperriger Held vielleicht – aber doch ein Held, verantwortlich für den wichtigsten sportlichen Erfolg in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Denn Schach ist kein gewöhnlicher Sport, sondern ein persisches Kriegsspiel indischen Ursprungs mit dem einzigen Zweck, angehende Feldherren strategisch und mental auf die Schlacht vorzubereiten. Ein kälteres Kriegsspiel ist nicht denkbar.

„Bevor ich 1972 die Weltmeisterschaft gewann“, sagte Fischer später einmal in einem seiner seltenen, immer wirren Interviews, „da waren die USA, naja, vielleicht für Football oder Baseball berühmt, aber nie für Intelligenz.“

Dabei hatte Fischer in Reykjavík nach einem schrecklichen Patzer in der ersten Partie auch noch die zweite kampflos an das rote Schach-Imperium abgegeben. Ein Leser beklagte sich in der Washington Post, Fischer sei der einzige Amerikaner, der „seine Landsleute dazu bringen könne, zu einem Russen zu halten“. Schon zuvor hatte er seinen Eskapaden häufig freien Lauf gelassen und beispielsweise beim vorherigen WM-Zyklus einfach das Turnier im tunesischen Sousse abgebrochen, obwohl er deutlich in Führung gelegen hatte.

Zur dritten Begegnung trat Fischer nur deshalb an, weil ihm ein britischer Schachliebhaber für das seiner Ansicht nach zu niedrig dotierte Match die damals horrende Summe von 100.000 Dollar versprochen hatte – Fischer verlor nur noch eines der 19 Duelle und stürzte den kommunistischen Weltmeister fulminant vom Thron. Spasski hatten die ständigen Reklamationen wegen der Sessel, der surrenden Fernsehkameras oder zu grell auf die Tischplatte scheinenden Lichts zermürbt. Den Amerikaner ließen hingegen die verzweifelten Bemühungen des KGB kalt, die Niederlage gegen den Klassenfeind durch Manipulationen aller Art zu erklären.

Seit 1975 lebte Fischer überwiegend im Untergrund, stellte alle Steuerzahlungen ein – und verwandelte sich so allmählich in ein Phantom (siehe Kasten). Ein Gespenst, das sich 1992 strafbar machte, und zwar ausgerechnet mit einer Partie gegen seinen alten Gegner Boris Spasski – ausgerechnet in Jugoslawien, über das damals ein Boykott verhängt war. Anschließend traute sich der jähzornige Ausnahmekönner aber nicht einmal zur Beerdigung seiner Mutter und seiner Schwester in die USA und tauchte wieder unter. Die rastlose Seele pendelte weiterhin zwischen Ungarn, Österreich, Japan, den Philippinen, der Schweiz und Deutschland. In der bayrischen „Pulvermühle“ hielt sich Fischer lange auf, gastierte auch in Bamberg bei Großmeister Lothar Schmid, den Fischer sowohl 1972 wie 1992 als Schiedsrichter bei seinen Partien gegen Spasski akzeptiert hatte.

Zum Verhängnis könnte dem 61-Jährigen der Applaus geworden sein, den er über seinen philippinischen Haussender spendete, als die Schergen von Ussama Bin Laden in das World Trade Center krachten: „Das sind wundervolle Neuigkeiten! Fuck the US!“, jubelte er – und bewog US-Sicherheitsbeamte dazu, sich den Boykottbrecher von Jugoslawien nun endlich vorzuknöpfen.

Der in Frankreich lebende Spasski übrigens wurde ebenso wie Schmid nie für den Einsatz in Sveti Stefan belangt. „Außenminister Klaus Kinkel sah kein Problem für ein Match, das unter dem Motto ‚Wettkampf für den Frieden‘ stand“, berichtet der Jurist Schmid und hält das amerikanische Verhalten für zweifelhaft: „Fischer war immer ein komischer Kauz.“

Fischers Eltern hatten sich bald nach der Geburt scheiden lassen. Ein neues Buch zweier BBC-Reporter, „Bobby Fischer Goes to War“, macht die Familienverhältnisse des Exweltmeisters noch verwirrender. Seine Mutter Regina sei vom FBI der kommunistischen Spionage verdächtigt worden, sein Vater sei der ungarische Jude Dr. Paul Felix Nemenyi – und nicht, wie angenommen, der deutsche Biophysiker Hans-Gerhardt Fischer. Auf dessen Nationalität nämlich hat sich Bobby Fischer bei seiner spektakulären Festnahme am Narita-Flughafen in Tokio lautstark berufen: „Ich bin Deutscher! Ihr dürft mich nicht in die USA abschieben.“ Tatsächlich steht jedem vor 1975 geborenen Kind eines Deutschen ein Pass der Bundesrepublik zu.

Inzwischen hat Fischer, dem bei seiner Festnahme offenbar ein Zahn ausgeschlagen wurde („Ich bin so gut wie tot!“), in mehreren Instanzen erfolglos gegen seine Abschiebung in die USA interveniert. In Montenegro bat er um politisches Asyl, was der montenegrinische Präsident Filip Vujanović am Dienstag ablehnte – immerhin im staatlichen Rundfunk.

Die Japaner sehen in Fischer unterdessen bloß ein diplomatisches Bauernopfer, damit die USA einen anderen Fall großzügig „übersehen“: Der angeblich 1965 zu Nordkorea übergelaufene Amerikaner Charles Robert Jenkins konnte unlängst unbehelligt das Land seiner japanischen Ehefrau besuchen, um dort medizinische Hilfe zu erhalten – sehr zum Verdruss der US-Regierung.

Auch über drei Jahrzehnte nach dem WM-Sieg verkauft sich noch immer jedes Schachbuch besser, wenn es den Namen Fischer im Titel trägt.

Die Anhänger des königlichen Spiels sehen ihrem Größten nach, dass der Sohn jüdischer Eltern krude antisemitische Thesen vertritt. So hätten sich die Juden gegen Elefanten verschworen, weil dessen Rüssel ein „unbeschnittenes Penis-Symbol“ sei, verbreitete Fischer ernsthaft in einer seiner Radio-Hasstiraden.

Von solchen Pamphleten distanziert sich Organisator Hans-Walter Schmitt. Dennoch schrieb er einen offenen Brief an Sportminister und Schach-Ehrengroßmeister Otto Schily, in dem er um Hilfe bei der Freilassung des Erfinders des in Mainz gespielten Fischer Random Schachs bietet. Dabei wird die Grundstellung der Figuren vor Partiebeginn ausgelost, um die ausufernde Eröffnungstheorie auszuschalten.

Auf der Webseite der Chess Classic Mainz (www.chesstigers.de) startete eine Unterschriftenaktion „Free Bobby Fischer“, die auch bei der gegenwärtig laufenden Turnierwoche regen Zulauf haben wird.

Schachspieler erinnern immer noch zuerst an zahllose Rekorde, legendäre Siegesserien oder die spektakulärste Schachpartie des Jahrhunderts, 1956, Fischer vs. Byrne (www.schachgeschichte.de/chess/games/fischer56.htm).

Den meisten Spaß bereite es ihm, erklärte Fischer einmal, „das Ego des Gegners zu zerstören“. Und: „Ich stecke 98 Prozent meiner geistigen Energie ins Schach, andere nur zwei Prozent.“ Vielleicht blieb deshalb einfach nicht genug geistige Energie, um im wirklichen Leben zu bestehen.