: Weckt den Sommer ein!
Reformagenda 20/03 – Teil 9: Schon ist Schluss mit der Gluthitze, bald ist der Jahrhundertsommer vorbei. Kein Problem! Trauerarbeit kann schön sein. So wird die heiße Zeit des Jahres konserviert
von JÖRN KABISCH
Ach, was war das für ein Sommer. Ein Hitzerekord jagte den nächsten, ein Tag war sonniger als der vorige, die Menschen drängten sich im Wasser und vor den Eis-Cafés. Dieser Sommer – sollte einfach nie vergehen. Doch schon, da sich die Temperaturen wieder nahe der 20-Grad-Marke einpendeln, drängt sich der Refrain des guten alten Rudi-Carrell-Lieds ins Ohr, während man im Biergarten den Pullover aus der Tasche nestelt: „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer – ein Sommer, wie er früher einmal war?“
Diese Zeilen wirken wie ein Phantomschmerz, denn noch, ja noch ist der Sommer längst nicht vorbei, wenigstens in meteorologischer, klimatischer und touristischer Hinsicht. Aber doch, was den gefühlten Sommer angeht, ist das Haltbarkeitsdatum schon fast überschritten, mag nun so mancher einwenden. Es gilt also vorzusorgen, bevor die Herbst-Tristesse einsetzt. Nur, wie kann der Sommer in den Winter gestreckt werden? Wie lässt sich eine Jahreszeit rationieren? Kann man sie nicht auf irgendeine Weise konservieren? Einwecken, einsalzen, vakuumverpacken oder räuchern? Man kann. Drei Methoden bieten sich dafür an.
Die Substitutionsmethode
Dies ist sozusagen die Methode nach Großmutters Art und gleichzeitig die weitverbreiteste. Sie hat tatsächlich mit so etwas wie Einkochen und Abfüllen von Sommerkonserven zu tun. Und tatsächlich führen sich abertausende alljährlich in verhangenen Zeiten allerhand solcher Ersatzpräparate zu Gemüte. Sehr populär ist dabei die Substitution durch Johanniskrautprodukte oder Solariumbesuche, notorisches Tragen von Sonnenbrillen auch noch nach der Dämmerung oder Dia-Abende vom Sizilienurlaub am zweiten Advent. Es gibt unzählige Spielarten der Kompensation für sieben Tage Regen.
Zu den etwas kostspieligeren gehören inzwischen die Anschaffung eines Wintergartens oder Strandreisen im Dezember. Die Reisebranche wirbt schon wieder mit billigen Pauschalurlauben in Dubai, Marokko, Mauritius oder auf den Kanarischen Inseln. Wer noch im September vorbestellt, bekommt Frühbucherrabatt. Diejenigen in der Bauwirtschaft, die sich auf die Errichtung von Einfamilienhaus-Orangerien spezialisiert haben, verzeichnen übrigens als Einzige noch Wachstumsraten.
Doch all diese kleinen Ersatzpraktiken und Kompensationsgeschäfte haben einen Nachteil. Sosehr man sie auch perfektioniert, an das Original reichen sie nie heran.
Die Konfrontationsmethode
Man könnte sie auch die Holzhammermethode nennen. Oder den kalten Entzug. Das erklärt, warum sie, obwohl effektiv, noch nicht sehr weit verbreitet ist. Die Konfrontationsmethode fußt auf der grundsätzlichen Einsicht, dass auch andere Jahreszeiten was für sich haben können, man sich das aber von Zeit zu Zeit sehr konkret in Erinnerung rufen muss. Denn mal ehrlich, nur leicht und locker ist der Sommer nun auch nicht. Aber die Wespen und Mücken, die brennende Haut nach zu viel Sonne und die Blasen am großen Zeh vom ewigen Flip-Flop-Tragen sind im Juli eben nicht viel Aufhebens wert. Überhaupt: Dass der Sommer die gefährlichste Saison des Jahres ist – das macht sich keiner oft genug bewusst.
Dabei lassen sich all die Unbilden des Sommers fast noch leichter haltbar machen als die guten Seiten. Hier einige Tipps: Packen Sie sich am Strand eine Hand voll Sand ein und befördern Sie ihn im Winter künstlich dorthin, wo er auch im Sommer gerne zwickt: in die Socken – oder die Unterhose. Sehr effektiv können sich auch Nahaufnahmen des sich pellenden Dekolletés in der adventlichen Dia-Show machen. Oder bis zum Anschlag aufgedrehte Heizungen. Durchgeschwitzte Bettlaken erinnern an schwüle Augustnächte.
Die Verdrängungsmethode
Die eindeutig eleganteste Art, mit der Absenz des Sommers fertig zu werden, ist, sich auf die sommerlichste aller Tugenden zu besinnen: das Vergessen. Denn der schönste Augenblick will einfach nicht verweilen. Warum nicht? Weil es noch schönere Momente geben wird.
Machen wir uns also noch einen schönen Spät- respektive Altweibersommer und verdrängen dann die ganze Angelegenheit. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass wir auch im nächsten Jahr wieder einen Sommer erleben, wie er früher nicht einmal war. Herbst und Winter haben auch was für sich, wenn man sich diesen Jahreszeiten nur stellt. In den Kaufhäusern ist die schönste Wintermode übrigens schon fast ausverkauft.