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Archiv-Artikel

DASS DEUTSCHLAND DEN MAASTRICHT-VERTRAG VERLETZT, IST KEIN DRAMA Der Verlierer heißt Eichel

In manchen Situationen kann man nicht gewinnen. Das weiß niemand besser als Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD). Gemessen an seinem Credo als Chefsparer der Nation ist seine Finanzpolitik sichtbar unsolide: Im Vergleich zum Maastricht-Vertrag nimmt Deutschland dieses Jahr wieder zu viele Schulden auf. Und im kommenden Jahr wird das vermutlich kaum besser. Eichel steckt in der Klemme zwischen europäischer Vertragstreue und innenpolitischer Glaubwürdigkeit. Beides zusammen geht derzeit nicht.

Gegenüber Brüssel muss der Bundesfinanzminister betonen, dass das Defizit zumindest 2004 wieder innerhalb des Maastricht-Vertrags liegt – sonst drohen unangenehme Verhandlungen über eine Strafe gegen Deutschland. Andererseits deutet die Wirtschaftslage daraufhin, dass Eichel seine Versprechungen nur schwer einhalten kann. Der Minister selbst legt sich die Latte auf eine Höhe, die er nicht erreicht. Durch die selbst produzierten Misserfolge liefert er der Opposition eine Steilvorlage nach der anderen, die diese nutzt, über die unehrliche Finanzpolitik herzuziehen.

Hans Eichels Standing nimmt ab, der Widerwillen der Union gegen Kompromisse hingegen zu. Das ist keine gute Ausgangsbasis für eine Regierung, die auf die Zustimmung zu ihren Gesetzen im Bundesrat angewiesen ist.

Während auf dieser Erscheinungsebene über so große Dinge wie das politische Schicksal des Finanzministers entschieden wird, entbehrt die Realität der Theatralik völlig. Tatsächlich kann die rot-grüne Regierung angesichts der ökonomischen Stagnation nichts anderes tun, als gegen Maastricht zu verstoßen. Die Alternative bestünde darin, weitere 20 Milliarden Euro aus den staatlichen Budgets herauszuschneiden – bei Sozialleistungen, Steuervergünstigungen für den Mittelstand oder die Unternehmen. Keine Regierung würde das in der gegenwärtigen Lage tun. Doch diese Gewissheit hilft Bundesfinanzminister Hans Eichel wenig. Ihm bleibt nur eine Hoffnung: Vielleicht kommt der Aufschwung. Eine stärkere Position bestünde darin, den Maastricht-Vertrag gegenüber Brüssel offiziell und offensiv zur Disposition zu stellen. HANNES KOCH