: Einsatz im Völkermordland
aus Bunia DOMINIC JOHNSON
Auch Kriegsopfer kann man zum Lachen bringen. Das Zauberwort heißt UNO, genauer „Monuc“, die Abkürzung für die UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo. Auf die Frage „Wird die Monuc euch schützen?“, bricht die Dorfversammlung von Dele in schallendes Gelächter aus, angefangen mit den kleinen Kindern. Schließlich setzt Dorfchef Mbidabo Dele ein ernstes Gesicht auf und sagt: „Die Monuc ist für uns nicht das Richtige.“
Dele ist ein Dorf am äußersten Südrand der „Sicherheitszone“ der französischen Eingreiftruppe um das kongolesische Bunia. Wer von dort aus den Checkpoint von Dele passiert, wird von den französischen Soldaten ungläubig angeguckt. Kein Wunder: Dies ist Völkermordland.
Kilometerweit erstrecken sich entlang der steinigen Piste in Richtung Albertsee üppige grüne Weiden und fruchtbares Land. Doch kein Mensch ist zu sehen, kein Vieh, keine Hütte. Nur vereinzelt kommen dem Auto einige Männer entgegen und gucken finster. „Das sind die Späher der Milizen“, erklärt Dieudonne Tandema, der in dieser Region die Aktivitäten internationaler Hilfswerke koordinieren hilft. Erst wenn er die Kämpfer grüßt, entspannen sich ihre Gesichter.
Die Lendu-Milizen haben ihr Werk hier vollendet. Wo früher Lendu und Hema zusammenlebten, gibt es nur noch Lendu. Nun sind die Weiden und Felder leer, denn die Lendu-Bauern haben sich aus Schutz vor etwaigen Gegenangriffen in die Berge zurückgezogen. Hier mutet der Kongo an wie Europa nach dem Zerfall des Römischen Reiches: Hoch oben auf den Felsen, wie mittelalterliche Burgen, thronen kleine Ansammlungen von Hütten, strategisch gelegen mit weiter Sicht. Aber darunter ist nichts.
Dele wurde vor dem französischen Einsatz von der Hema-dominierten Bewegung UPC (Union patriotischer Kongolesen) verwüstet, erzählen die Bewohner, die zumeist der Ethnie der Bira angehören. Sie flohen in die Berge zu den Lendu, ihre Hütten gingen in Flammen auf. „Erst als die Eingreiftruppe kam, hatten wir den Mut, zurückzukommen“, erzählt Ye Nyabo Ngusura, der alte Ortsvorsteher des Außenviertels Buchuka, wo sich die wenigen Bewohner in abgerissener Kleidung vor verkohlten Ruinen sammeln. „Die Hema wollten unser Land, um dort Farmen einzurichten. Jetzt sind sie weggegangen.“
Dele gilt heute als Hauptquartier von Lendu-Militärführer General Ngodjolo, aber seine Anhänger geben sich lammfromm. „Unsere Leute kämpfen ohne Waffen“, behauptet Dorfchef Mbidabo. „Die Franzosen haben gesagt, dass man keine Waffen im Haus haben soll, also haben wir sie alle kaputtgemacht.“
Kann man das glauben? Rings um Bunia geht das Töten weiter. Lendu-Gruppen, zusammen mit alliierten Milizen, dehnen ihr Herrschaftsgebiet in Ituri immer weiter aus. Von der grünen Region zwischen Bunia und dem Albertsee verlagert sich das Mordgeschehen derzeit in den staubigen Norden des Distrikts. In jedem Gespräch darüber, nicht nur mit Hema, taucht irgendwann der Begriff Völkermord auf.
Von einem „langsamen Völkermord“ an den Hema spricht Markus Sack, Leiter der Deutschen Welthungerhilfe in Bunia, der größten außerhalb der Stadt tätigen internationale Hilfsorganisation in Ituri: „Nicht überall auf einmal wie in Ruanda. Sondern Dorf für Dorf.“ Am weitläufigen Bischofssitz von Bunia meint der amtierende Generalvikar Abbé Emmanuel Kodjo: „Die Hema sind den Lendu-Kämpfern ausgeliefert. Wenn nicht bald UN-Truppen im Binnenland stationiert werden, wird die Hema-Bevölkerung ausgerottet.“
In seinem kleinen Büro mit schiefen Neonröhren und Wandregalen wird der Generalvikar ständig von seinem Telefon unterbrochen. Es gibt Neuigkeiten aus Fataki. Die Stadt 130 Kilometer nördlich von Bunia wurde am 5. August von Lendu-Milizen erobert. Die meisten Häuser sind abgebrannt, zehntausende sind geflohen, die Zahl der Toten ist noch unbekannt. „Wie, ihr habt die Leiche immer noch nicht?“, brüllt Emmanuel Kodjo ungläubig ins Telefon. Es geht um Schwester Mathilde, 80 Jahre alt. Noch immer konnte sie nicht geborgen werden.
Während im Umland die Hema sterben, wird in Bunia die Hema-dominierte UPC von den Franzosen gejagt. Sie hatte Bunia Mitte Mai erobert, nachdem Lendu-Milizen unter den Augen tatenloser UN-Soldaten blutige Massaker begangen hatten. Die UPC vertrieb daraufhin zahlreiche Lendu: Von Bunias einst 300.000 Einwohnern waren Anfang Juni noch 88.000 da, und seitdem sind nur 25.000 Rückkehrer dazugekommen.
Als die Franzosen Bunia besetzten, musste die UPC weichen. In Bunia und einem Kreis von etwa zehn Kilometer Radius drumherum ist es verboten, Waffen zu tragen, und die UPC-Militärführer sind abgezogen, Richtung Norden. An den UPC-Hochburgen im Norden und Westen der Stadt kommt es jetzt immer öfter zu Zwischenfällen. Tagsüber sind die breiten kaputten Straßen von Bunia, von der „Tankstelle zum Heiligen Samurai“ bis zur „Schlächterei Ohne Grenzen“, geschäftig und voll. Gelangweilte junge Männer gucken böse auf die vorbeirauschenden olivgrünen Panzerwagen der Franzosen. Nachts entlädt sich die Spannung: Maschinengewehre rattern, manchmal fahren am nächsten Morgen Autos von Hilfswerken auf Landminen.
„Keiner soll sagen, dass es keine Sicherheit in Bunia gibt“, tönt dennoch Colonel Dubois, Sprecher der „Operation Artemis“, wie der französisch geführte Einsatz offiziell heißt. „Es gibt Kriminalität wie in jeder Stadt. Vorher waren es Milizionäre, die militärische Befehle befolgten. Jetzt sind es Banditen, die für sich selbst arbeiten.“
Die Artemis-Soldaten haben ein anderes Feindbild. Beim nächtlichen Abendessen im Hotel ist der Hof plötzlich voll von Franzosen in Kampfmontur, die laut schreiend nach einem vermuteten Bewaffneten suchen. Nach der ergebnislosen Einnahme von Küche und Klo durchsuchen die Soldaten mit vorgehaltenen Maschinenpistolen die drei Gäste auf der Terrasse: einen taz-Reporter, einen UN-Mitarbeiter und einen kongolesischen NGO-Leiter auf Besuch. Besonders interessieren sie sich für das Notizbuch des Kongolesen. „Sind Sie UPC?“, fragen sie barsch.
Wenn nur die Franzosen zwischen der UPC und Bunia stehen, kann man sich nach dem offiziellen Ende der französischen Mission am 1. September auf einiges gefasst machen. Seit dem 16. August läuft der Übergang der französischen Basen an eine verstärkte UN-Mission. Beim ersten Übergabetermin am Camp Alpha, einem ehemaliger Steinbruch hinter dem Flughafen, brennt die Sonne auf jeweils rund zwei Dutzend Franzosen und UN-Blauhelme aus Bangladesch hinab, die im rechten Winkel zueinander strammstehen und schwitzen. Die Franzosen, darunter mehrere Schwarze, sind jung, und manche können sich ein Grinsen nicht verkneifen. Die Bangladescher sind älter, größer und grimmiger.
Feierlich wird die Trikolore auf dem Sandhügel eingeholt. „Camp Alpha zur Verfügung von Colonel Zia!“, brüllt der Kommandeur. Die Flaggen von Bangladesch, roter Punkt auf grüner Fläche, und die der UNO steigen in den blauen Himmel über Bunia.
„Viel Glück“, sagt der französische Offizier auf Englisch zu seinem UN-Gegenüber. Der französische Fahnenmast ist klein und stämmig, der der UNO ist viel höher und bewegt sich unsicher im Wind hin und her. Das beschreibt das Verhältnis der beiden Truppen ziemlich genau. Es wird mehr UN-Soldaten als Franzosen in Bunia geben, aber die Kongolesen respektieren sie weniger. Die uruguayischen Blauhelme sitzen auf der Hauptstraße in weißen UN-Panzern, um die herum längst Gras sprießt. Wenn ihnen das Mittagessen auf offener Straße angeliefert wird, gucken die hungrigen Straßenkinder neugierig zu. Dann richtet der Soldat ganz oben das Gewehr auf sie.
Jetzt sollen die Uruguayer zusammen mit Einheiten aus Pakistan, Nepal und Bangladesch an die Front. Sie alle können kein Französisch und sind im Kongo so hilflos wie US-Amerikaner im Irak. Die Franzosen wurden von den Hema angefeindet und von den Lendu begrüßt; die neue UN-Truppe hat beide gegen sich. „Das ist ein Fortschritt“, findet ein UN-Offizieller und wundert sich, wenn man ihm widerspricht. „Doch. Denn dann sind wir nicht parteiisch.“
Erst einmal dürfte die Lage eskalieren, weil Lendu- wie Hema-Kämpfer die neuen Blauhelme testen wollen. UPC-Führungsmitglied Victor Ngona lässt sich alle Optionen offen: „Wir werden Bunia nicht wieder einnehmen, sondern erst mal sehen, was passiert: Ob es Provokationen gibt, ob Lendu in die Stadt kommen.“
Die Bira in Dele haben auch Angst. „Wenn die Eingreiftruppe geht, kommen die Hema wieder“, meint Dorfvorsteher Ye Nyabo. „Dann holen wir unsere Macheten wieder raus.“ Und vor den verkohlten Häusern meint Hilfskoordinator Tandema: „Wenn die Franzosen gehen, werden hier alle fliehen. Dann kommen die Lendu-Kämpfer von den Bergen herunter, und es wird schlimmer als vorher. Und Bunia wird nicht mehr existieren.“