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Archiv-Artikel

Es kann nur einer siegen

Wahre Männer werfen Steine und Baumstämme durch die Gegend: Die Highland Games sind eher was für archaische Naturen. Der Berliner Omar Orloff siegte zum vierten Mal

Es war knapp. Omar Orloff schleuderte die Eisenkugel, er schleuderte sie mit Schwung, denn darum geht es. 9,5 Kilogramm Metall fliegen durch die Luft, eine Kampfrichterin kann sich nur durch einen Sprung retten. Orloff, Glatze, viele Muskeln und Tätowierungen, gibt sich nach dem Fehlwurf erleichtert: „Natürlich war das Scheiße. Ich bin froh, dass nichts passiert ist.“ Orloff hat trotzdem gesiegt. Auch in diesem Jahr entschied er die Highland Games in Spandau für sich. Zum vierten Mal.

Obwohl die Protagonisten allesamt Schottenrock und bunte Kniestrümpfe tragen, gab es am Samstag wahre Männer zu sehen. Die Frauenwelt hat das bemerkt und die 6. Highland Games European Challenge für sich entdeckt – fast drei Viertel der Zuschauer sind weiblich.

Vergleiche mit der Leichtathletik sind gestattet – mit einem entscheidenden Unterschied: Statt zu Diskus und Speer greifen die Jungs zum Baumstamm oder Flussstein. Was in Schottland ursprünglich ein gemeinsames Kräftemessen der stärksten Krieger war, ist heute nicht nur im Heimatland der „Higland Games“ zu einem friedlichen sportlichen Wettkampf geworden. Insgesamt 113 Kilogramm schleudern, stoßen und werfen die Athleten während eines Wettkampfs durch das Gelände, eine wahre Belastungsprobe für Sportler und Material. Um Sehnen und Bänder vor Verletzungen zu schützen, reicht ein durchtrainierter Körper nicht aus. Der Tapeverband ist bei dieser archaischen Sportart längst zum ständigen Begleiter der Wettkämpfer geworden.

Den Auftakt der schottischen Hochlandspiele bildet in der Regel das Steinstoßen. Ein massiver Flussstein mit 10 Kilogramm Gewicht wird, ähnlich dem Kugelstoßen, möglichst weit weg geworfen. Bis zu 18 Meter fliegt der Stein bei den Besten, jedoch anscheinend nur dann, wenn der Versuch durch männliche wirkenden Stöhnlaute unterstützt wird. Drehen, was das Zeug hält, heißt es dann beim Kugelschleudern. Eine 7,5 Kilogramm schwere Eisenkugel ist an einer Kette befestigt, wird durch vollen Einsatz des Oberkörpers in Schwung gebracht, und auf eine möglichst lange Reise geschickt.

Das anschließende Hammerwerfen gleicht ebenfalls der gleichnamigen leichtathletischen Disziplin. Einziger Unterschied: Statt an einer Kette ist das 9,5-Kilogramm-Gerät an einem festen Stab befestigt.

Die vierte Disziplin, das Baumstammwerfen, bedeutete nicht nur für die Zuschauer das Highlight des Tages. Auch Sieger Orloff weiß: „Mit dieser Disziplin steht und fällt dein Wettkampf.“ Ziel ist es, einen 50 Kilogramm schweren Baumstamm so zu werfen, dass er sich in der Luft überschlägt. Bewertet wird am Ende nicht die Eleganz der Sportler, sondern die Uhrzeigerstellung, in der der Stamm landet. Vor allen Dingen Technik sei es, worum es gehe, erläutert Orloff. Diese Technik gilt es lang zu üben, was auf üblichen Rasenplätzen zu Meinungsverschiedenheiten mit dem Platzwart führen kann. Deshalb hat sich Orloff einen Baumstamm für den heimischen Garten beschafft. Ohne eigenen Baumstamm kein erfolgreiches Training. Michael Schier, der in Berlin ebenfalls für Deutschland startete, ist während der Saisonvorbereitung oft im Wald zu finden. „Es ist wohl der einzige Platz, an dem man Baumstämme ungestört durch die Gegend werfen kann, ohne schief angeschaut zu werden“, so Schier.

Der fünfte und letzte Wettkampf der Hochlandspiele ist das Gewichthochwerfen: Ein 25 Kilogramm schweres Eisengewicht wird rücklings über eine Hochsprunglatte befördert. Eine Disziplin, die noch einmal Kraft und Konzentration verlangt.

Für den neuen „Highland Games European Champion“ Orloff bedeutete der Sieg in Spandau etwas Besonderes. „Ich wollte natürlich gerade in meiner Heimat meine Bestleistung bringen.“ Neun Monate hatte sich Orloff auf den Wettkampf vorbereitet. Im letzten halben Jahr bis zu sechs Stunden am Tag. Auf die Frage einer Reporterin, weshalb es gerade dieser archaische Sport sein müsse, antwortete er selbstsicher. „Es gibt fünf Millionen Fußballspieler, aber nur einen wahren Highlander.“ Wahre Worte von einem wahren Mann.

KATHARINA SCHNURR