belle de jour : TIRUNESH DIBABA schockiert die Weltelite im 5.000-m-Lauf
Cooler Überfall einer Nachwuchskraft
Ob die Äthiopierin Tirunesh Dibaba in ihrer Kindheit tatsächlich über Stock und Stein durch den Busch hetzen musste, um nach der Schule pünktlich zu Hause zu sein und zu verhindern, dass ihr eine Unmenge von Geschwistern alles wegfuttert, wie es ein ZDF-Kommentator kürzlich in einer profunden Analyse afrikanischer Laufstärke den dortigen Athleten nachsagte, sei dahingestellt. Fakt ist: Die 18-jährige 5.000-m-Weltmeisterin stammt aus einer Familie von Kleinbauern – und aus einer Gegend, wo der Langstreckenlauf prächtig gedeiht. Haile Gebrselassie kommt aus derselben Provinz, Olympiasiegerin Derartu Tulu ist sogar aus demselben Örtchen und eine Cousine von Dibaba.
Vorgesehen als Gewinnerin des 5.000-m-Rennens war eigentlich ihre Landsfrau Birhane Adere, die 10.000-m-Siegerin. Beide hatten geplant, sich drei Runden vor Schluss gemeinsam vom Feld abzusetzen. Daraus wurde jedoch nichts, denn die 30-jährige Adere war platt. Also nahm Dibaba die Sache völlig cool unter die eigenen Füße, brachte sich in eine ideale Ausgangsposition und zog 200 m vor dem Ziel ihren Spurt an. So überraschend kam der Überfall der Nachwuchskraft, dass die spanische Europameisterin Marta Domínguez, die bis dahin das Rennen kontrolliert hatte und wie die sichere Siegerin aussah, vor Schreck fast noch Silber an die Kenianerin Edith Masai verloren hätte.
Im Ziel blickte Tirunesh Dibaba zunächst so finster, als sei sie gerade Letzte geworden. Dann hob sie als Zeichen des Triumphs schüchtern einen Finger, nach halber Ehrenrunde begann die jüngste Siegerin in der Geschichte der Leichtathletik-WM schließlich verhalten zu lächeln. Wohl nicht zum letzten Mal. MATTI LIESKE