: Zwei tote Dandys aus Paris und die Restlinke
Schriften zu Zeitschriften: Die neue Ausgabe der Zeitschrift „Testcard“ widmet sich dem Thema „Linke Mythen“. Achtung, Attacler: Mit Aplomb wird etwa der Mythos von der Globalisierung als Wahrheitsregime entlarvt. Auch wenn Stilfragen leider als Luxus gelten, am Ende lohnt die Mühe
Eine Auswahl der bisherigen Titel der Zeitschrift Testcard verrät eine Schlagseite zum Pop: „Pop und Destruktion“, „Gender – Geschlechterverhältnisse im Pop“, „Pop und Krieg“, aber auch „Humor“. Wenn sich die zwölfte Testcard-Ausgabe dem Thema „Linke Mythen“ widmet, dann stellen sich zunächst zwei Fragen: Wer ist Testcard? Welche Linke?
Antworten auf beide Fragen gibt ein Text aus dem aktuellen Heft: Auf sieben Seiten dekliniert Oliver Uschmann die Dialektik der Aufklärung am Beispiel der Band Bad Religion durch und bringt mich fast dazu, nach zehn Jahren wieder eine Bad-Religion-Platte aufzulegen, um mein Urteil, dass es sich hier um eine ebenso grundsolide wie öde Punkband handelt, zu überprüfen.
Wer aber ist Bad Religion? Diese Frage stellen mit Adorno und Horkheimer viele Linke und Exlinke, die sich für linke Mythen interessieren. Bad Religion sind eine feste Größe im Koordinatensystem einer Linken, deren Politisierung sich in den Achtziger- und Neunzigerjahren zwischen besetzten Häusern und autonomen Jugendzentren zugetragen hat und die sich etwa herumschlagen musste mit Fragen veganer Ernährung.
Hier ergreift eine glamour- wie subventionsfreie, unhedonistische Low-Budget-Linke zwischen Peripherie und Provinz das Wort, die sich die herablassende Ignoranz der Hauptstadt-Petit-Bourgeoisie schon dafür zuzieht, dass sie mehr Zeit in der Volksküche zugebracht hat als in der Volksbühne. In Testcard schreibt diese, sagen wir: junge Linke an der Fortsetzung einer Adoleszenz zwischen Hardcore und Autonomie, Gendertrouble und Antifa. Vom rot-grünen Kulturestablishment werden diese Debatten und Strömungen wenig beachtet; offenbar tut sich hier neben den (pop-)kulturellen Gräben ein generationsförmiges Rezeptionsloch auf – schließlich politisierte sich diese Jugend just zu einer Zeit nach links, als viele Alte sich von ihrer linken Vergangenheit in Richtung Zivilgesellschaft verabschiedet haben. Die Lektüre der neuen Testcard könnte Letzteren das eine oder andere Déjâ-vù- Erlebnis bescheren. Vom Cover grüßt Che Guevara, und gleich der erste Text ist Ton Steine Scherben gewidmet. Aber: Mitherausgeber Martin Büsser zeichnet den Wandel im Public Image der einstigen Anarchoband nach: „Vom Verfassungsfeind zum Deutschen Aushängeschild“.
In puncto Gestaltung gilt bei Testcard: im Zweifel für die größere Textmenge. Stilfragen sind Luxus. Langes Feilen am eleganten kurzen Text entfällt zugunsten ungefeilter langer Texte mit ebensolchen Headlines: „Jenseits von Autonomieästhetik oder Politisierung der Kunst? Essay zur kompositorischen (Post-)Avantgarde der 60er und 70er“. Oder: „Industrial zwischen Tradition, Konfrontation und Affirmation linker und rechter Mythologie“. Richtig, ich kenne auch nicht mehr viele Leute, die sich mit Begeisterung auf solche Texte stürzen, schon gar nicht, wenn sie gespickt sind mit linken Kitschphrasen. Nein, ich will lieber nichts mehr lesen über einen „unbequemen Film zwischen allen Stühlen“. Aber da müssen wir durch.
Denn die Quälerei beginnt Spaß zu machen, wenn man erfährt, dass der Komponist Constantin Cardew, den Felix Klopotek in einem kenntnisreichen Text über Neue Musik und Linksradikalismus vorstellt, nicht nur eine „Ethik der sieben Tugenden der Improvisation“ verfasste, sondern den umgekehrten Lebensweg vieler westeuropäischer Linker ging: Cardew war zuerst Buddhist und dann Maoist.
Es schmeckt auch nach Erkenntnis, wenn Jan Deck den „Mythos Globalisierung“ auseinander nimmt und dabei auf Muster der Totalisierung und Verklärung des politischen Gegners stößt, die Leute mit linker Vergangenheit wiedererkennen sollten. „Die Globalisierung“ – mit bestimmtem Artikel – wird von vielen ihrer Kritiker auf ähnliche Weise mystifiziert, wie dereinst „Der Staat“ mit Hilfe linker Schimären wie „Schweinesystem“, „counter insurgency“ oder „totale Überwachung“ dämonisiert wurde. „Total“, „unabwendbar“ & „unstoppable“ kommt die Globaliserung über ihre Opfer, die wie das Kaninchen vor der Schlange darauf warten, von ihr – fulfilling the prophecy – gefressen zu werden.
Ausgiebig bedient sich Deck bei Roland Barthes’ unverwüstlichen „Mythen des Alltags“, um zu erklären, wie sich der Globalisierungsdiskurs als Foucault’sches Wahrheitsregime etabliert. Überhaupt sind Barthes und Foucault die heimlichen Stars der Testcard-Mythenforschung. Zwei tote schwule Dandys aus Paris müssen helfen, den Mühen des Alltags einer marginalisierten deutschen Restlinken neuen, alten Sinn zu geben.
KLAUS WALTER
„Testcard 12: Linke Mythen“. Ventil Verlag, 302 eng beschriebene Seiten, 14,50 €, www.testcard.de