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Archiv-Artikel

Heimatbewusstsein in künstlichen Ländern

Nach 1949 haben sich die Westdeutschen erstaunlich schnell an die damals gezogenen Ländergrenzen gewöhnt. Dabei wurde eine „Neugliederung des Bundesgebiets“ in der Bonner Verfassung ursprünglich zwingend vorgeschrieben

BERLIN taz ■ Niemand konnte sich 1949 vorstellen, dass das gut gehen würde – ein Staat, in dem Preußen und Bayern vereint sind. Einzig zu dem Zweck, den Franzosen eine eigene Besatzungszone zu verschaffen, hatten die Alliierten das künstliche Land geschaffen. Sie zwangen den südlichen Teil der preußischen Rheinprovinz mit der vormals bayerischen Rheinpfalz zusammen, fügten noch den linksrheinischen Teil Hessens und die oldenburgische Exklave Birkenfeld hinzu, und fertig war „Rheinland-Pfalz“.

An solche Kunstprodukte dachten die Mitglieder des Parlamentarischen Rates, als sie beschlossen, eine völlige „Neugliederung des Bundesgebietes“ in der Verfassung zwingend vorzuschreiben. Und gegen alle Voraussicht gewöhnten sich die Deutschen erstaunlich schnell an die neuen Grenzen. Einzig die Schwaben und die Badener nutzten den einschlägigen Grundgesetzartikel, überwanden ihre historische Feindschaft und fanden 1952 in „Baden-Württemberg“ zusammen. Allerdings nur unter solchem Ächzen und Stöhnen, dass den Politikern andernorts die Lust auf einen ähnlichen Kraftakt verging. Der Bundestag verwandelte die Pflicht zur Neuordnung 1976 in eine windelweiche Kannbestimmung.

Dabei hatten die Urheber des Grundgesetzes ein durchaus ernsthaftes Problem im Sinn, als sie die Möglichkeit zu Länderfusionen schufen. Es ging darum, Einheiten von vergleichbarer finanzieller Leistungskraft zu schaffen. Und heute mögen die Regierungschefs aus München oder Düsseldorf, Stuttgart oder Wiesbaden oft nicht einsehen, warum sie für die armen Brüder und Schwester in Bremen oder Saarbrücken aufkommen sollen. Der Föderalismus als Ganzes nimmt Schaden, wenn eine Mehrheit der Bundesländer – mit erdrückender Mehrheit im Bundesrat – bei allen Verhandlungen nur noch aufs schiere finanzielle Überleben schielt.

Verschärft hat sich das Problem seit der Vereinigung. Bis auf Sachsen überschreitet kein einziges der ostdeutschen Länder die kritische Größe, von der an Experten ein eigenes Bundesland für sinnvoll und lebensfähig halten. Doch bis auf die wechselnden Regierungschefs in Magdeburg haben es die Ministerpräsidenten in Schwerin und Dresden, Potsdam und Erfurt rasch geschafft, ihrem jeweiligen Land ein neues Identitätsbewusstsein einzuimpfen. Das macht jede Änderung des Status quo fast unmöglich – und sichert zugleich tausend Jobs in Politik und Verwaltung, bei Firmen und Verbänden.

Gebannt schauen die Befürworter künftiger Länderfusionen auf die Entwicklung in Berlin und Brandenburg. Dort war vor sieben Jahren ein Anlauf zum Zusammenschluss gescheitert – weil die Brandenburger eine Vereinnahmung durch die Metropole fürchteten. Seit der Berliner Bankenkrise fürchten die Bewohner des Umlands obendrein, sie müssten im Fall der Fusion den hauptstädtischen Schuldenberg übernehmen. Solange hier nicht ein neuerlicher Anlauf geglückt ist, werden sich die Politiker andernorts kaum an die Großtat einer Länderfusion wagen. RALPH BOLLMANN