: Alles im Lot auf dem sinkenden Boot
Schwarz-Schill ohne Schill oder Neuwahlen: Morgen entscheidet die Bürgerschaft über Hamburgs Zukunft. Rechts-Koalition gibt sich erfolgssicher, rot-grüne Opposition auch. SPD-Möchtegernbürgermeister Thomas Mirow beharrt auf Neuwahlen
von SVEN-MICHAEL VEIT
Der frühe Vogel fängt den Wurm, weiß der Volksmund. Kein Wunder also, dass auch die Volkspartei SPD dies beherzigt. Heute früh ab 6.30 Uhr verteilten deshalb drei Männer am Hauptbahnhof Flugblätter mit der Forderung nach Neuwahlen in Hamburg, die gerne der nächste sozialdemokratische Bürgermeister der Hansestadt werden würden. Parteichef Olaf Scholz, Fraktionsvorsitzender Walter Zuckerer und derjenige, der als Favorit gilt: Thomas Mirow, ehemaliger Stadtentwicklungs- und Wirtschaftssenator, wollen den Schwarz-Schill-Senat nur zu gern an die Wahlurne zwingen. „Wir sind bereit“, verkündete die Troika, „für klare Verhältnisse und für Hamburg.“ Na klar, wofür denn sonst.
Aus eigener Kraft jedoch können die SozialdemokratInnen nicht ihr Ziel erreichen, zwei Jahre Rechts-Senat an der Elbe zum Betriebsunfall werden zu lassen. Dafür sind sie auf Schützenhilfe aus der Regierungskoalition angewiesen: Wenn der Schill-Abgeordnete Dirk Nockemann morgen Nachmittag in der Bürgerschaft nicht zum neuen Innensenator als Nachfolger von Ronald Schill gewählt werden sollte, wird die Koalition von CDU, FDP und Schill-Partei platzen und Hamburg vermutlich am 9. November ein neues Landesparlament wählen müssen.
Gegen 15.45 Uhr am Mittwoch wird die geheime Abstimmung über die Nachbesetzung auf der Regierungsbank beendet sein – und wie sie ausgeht, vermag niemand zu prognostizieren. „Geschlossen“ werde ihr Votum sein, beteuern die drei Regierungsfraktionen selbstredend ebenso wie die Opposition aus SPD und GAL.
Mit 64 zu 57 Stimmen müsste demnach Nockemann gewählt und der Rechts-Senat bestätigt werden, doch auch daran glaubt niemand. Denn der zum einfachen Abgeordneten mutierte Ronald Schill wird vermutlich der Sitzung fernbleiben, und sollten drei weitere VolksvertreterInnen mit Nein stimmen, hat die Koalition keine Mehrheit mehr.
Sicher ist lediglich, dass die sechs FDPler für und die elf Grünen gegen Nockemann stimmen werden. Unsichere Kantonisten gibt es hingegen bei CDU und Schill-Fraktion. In der Union könnten angesichts der guten Umfrageergebnisse einige auf zusätzliche Mandate bei Neuwahlen spekulieren, und unberechenbare Schill-Getreue in der Fraktion der Rechtspopulisten gelten als wahrscheinlich. Treuegelöbnisse bei offenen Probeabstimmungen in den Fraktionen und geheime Wahlen in der Bürgerschaft, das ist parlamentarische Erfahrung, sind zwei Paar Schuhe.
Andererseits ist nicht sicher, dass in der SPD alle auf Kurs bleiben. Drei oder vier altgediente ParlamentarierInnen könnten abweichen, so die Befürchtung, da ihnen bei Neuwahlen kaum Chancen auf einen sicheren Listenplatz und damit auf ein erneutes Mandat eingeräumt werden.
Einen zweiten Wahlgang aber, das steht fest, wird es nicht geben. Man habe „nur einen Schuss, nicht mehr“, weiß Schill-Parteichef, Bausenator und Reserve-Hauptmann Mario Mettbach. Was er nicht weiß, ist, ob es ein Volltreffer oder ein Rohrkrepierer wird: Nichts ist im Lot auf dem sinkenden Boot.
Dennoch weisen Regierungsfraktionen und Senat jeden Gedanken an eine Niederlage weit von sich. Einen „Plan B“ gebe es nicht, wird allenthalben beteuert, Schwarz-Schill werde auch ohne Schill weitermachen.
Die Einzigen, die sich bereits minutiös auf ein Kentern der Senatsbarkasse vorbereitet haben, sind die ehemaligen Dauerregenten von der SPD. Wenn die Koalition platzt, werden die Sozialdemokraten sich noch am Abend ins geheime Kämmerlein zurückziehen, um ihren Bürgermeister-Kandidaten zu küren. Und der wird Dr. Thomas Mirow heißen.