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Archiv-Artikel

Beleidigte Verwaltungsspitze

Wie der Herr Baustadtrat versuchte, „persönliche Angriffe“ in Gestalt eines Bürgerinitiativen-Plakats aus der Welt zu schaffen: Eine wahre Begebenheit aus dem Oldenburger Haareneschviertel

Wenn sich Normalbürger und Wichtig treffen, dann geht das nicht immer gut. Vor allem, wenn der Wichtig sauer ist. So wie neulich, in einem Kiosk im Oldenburger Haareneschviertel. In der Rolle des Normalbürgers: die Frau des Kioskbesitzers, die Kioskmitarbeiterin genannt werden möchte. In der Rolle des – schon qua Amts – Wichtig: der Oldenburger Stadtbaurat. Dieser kam an jenem Sonntag, wie so oft, zu dem Kiosk. Aber es war nicht wie sonst. Er kam nicht, um sich eine Zeitung oder eine Schachtel Zigaretten zu kaufen. Er kam, um sich zu beschweren.

Im Kioskfenster hatte er ein Plakat gesehen, auf dem ihm Wortbruch vorgeworfen wird. Fett gedruckt in schwarzen Buchstaben. Geschrieben haben das Plakat drei Herren einer Bürgerinitiative, die sich für den Erhalt des historischen Viertels einsetzt. Erst kürzlich hatten sie die Anwohner mobilisiert, weil ein Immobilienunternehmen einer alten Dame ihr Haus abgekauft und das große Grundstück geteilt hatte, um in den Garten ein Mehrfamilienhaus zu bauen – einem der Herren aus der Bürgerinitiative direkt vor die Nase.

Das wurde verhindert, der Stadtrat beschloss eine Veränderungssperre für das Viertel – die der Stadtbaurat nicht wollte. Er fand sie nicht nötig, um das Viertel so zu erhalten, wie es ist. Mit großen Gärten hinter zumeist historischen Häusern.

Den Anwohnern aber war die Sperre lieber. Sie glaubten, erst die gebe ihnen Gewissheit: dass nämlich die Bauverwaltung nichts genehmigt, was dem Bebauungsplan für das Viertel widerspricht, auf den sie seit Jahren warten.

Doch die Freude über die Veränderungssperre, den Sieg über den Investor und die Ankündigung des Stadtbaurats, es werde „Anfang des Jahres“ eine Bürgerversammlung zum weiteren Vorgehen geben, währte nur kurz: Unlängst vermeldete die Lokalpresse den drohenden Abriss gleich mehrerer alter Häuser – und den Bau von sieben neuen. Bei den Bürgerinitiativlern direkt ums Eck. Also schrieben diese ihr Plakat. Da stellen sie Aussagen des Stadtbaurats den neuen Plänen gegenüber – und immer heißt es „Wortbruch“:wegen des drohenden Abrisses, wegen der Neubauten, weil er eine Bürgerversammlung plötzlich erst „frühestens zum Jahresende“ in Aussicht stellte.

Und dann: Der Stadtbaurat im Kiosk. Erster Besuch am Vormittag. Eine Aushilfe sieht ihn, wie er den Kiosk samt Plakat fotografiert. Dann kommt er in den Verkaufsraum. Sagt, er wolle sie unter vier Augen sprechen. Einen Stammkunden schickt er vor die Tür, erzählt die Aushilfe später, der Stadtbaurat bestreitet es. Er beschwert sich, benutzt das Wort „Freiwild“ – wohl um auszudrücken, als was er sich fühle, was er aber nicht sei. Die Aushilfe sagt, er solle nachmittags wieder kommen, dann sei die Frau des Besitzers da. Eben die, die Kioskmitarbeiterin genannt werden will.

Der Stadtbaurat verlässt den Kiosk. Als er zurückkehrt, ist er aufgebracht, heißt es. Das Plakat müsse weg, es enthalte unerlaubte persönliche Angriffe gegen ihn. Die Kioskmitarbeiterin entgegnet, er werde auch in der örtlichen Zeitung hin und wieder kritisiert, eine Gegendarstellung habe sie dort aber noch nie gesehen. Außerdem habe sie das Plakat nicht geschrieben – er solle sich an die Verfasser wenden. Darauf er: „Aber es hängt in Ihrem Kiosk.“ „Tja“, sagt sie, „da hängt so manches.“ Wohnungsgesuche, eine Katze wird vermisst, nun eben hängt da auch das Plakat.

Ihm reicht es. Er sagt, was den vorläufigen Schlusspunkt unter die Begebenheit setzt – und das Politikverständnis der derzeitigen Oldenburger Verwaltungsspitze gut beschreibt: „Das ist Beamtenbeleidigung.“

Beamtenbeleidigung! In einem Ständesystem, in dessen oberen Etage es sich die Beamtenschaft bequem gemacht hat, stünden der Kioskmitarbeiterin jetzt wohl zehn Tage bei trocken Brot im Rathauskerker bevor. Beamtenbeleidigung aber gibt es gar nicht: Was Beleidigungen angeht, sind Beamte den Nichtbeamten gleichgestellt. Dass der Stadtbaurat aber meint, mit diesem großen Wort drohen zu können, zeigt: Kritiker sind der Oldenburger Verwaltungsspitze lästig und werden auch so behandelt.

Die Kioskmitarbeiterin hat sich übrigens nicht einschüchtern lassen. Das Plakat hängt immer noch. Angst, sagt sie, habe sie keine. FELIX ZIMMERMANN