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Archiv-Artikel

Krankheiten des Historienfilms

Lidokino (6): Die Reihe der Filme, die sich bislang historischen Themen widmeten, optiert fast ausschließlich für die schwere Sprache des Symbolischen. Zu einer kühlen, selbstreflektiven Veranschaulichung und Konkretion ihres Sujets gelangen sie nicht

von CRISTINA NORD

Es scheint eine Art Gesetz zu sein: Filme, die sich historisch-politischer Sujets annehmen, setzen sich besonders vielen Gefährdungen aus. Denn die Fehler, die ihnen unterlaufen können, sind so zahlreich, dass es an ein Wunder grenzt, wenn sie sie vermeiden. Auf dem Lido hat sich ein solches Wunder in diesem Jahr noch nicht ereignet.

Nach der Vorführung von Christopher Hamptons Wettbewerbsbeitrag „Imagining Argentina“ buhte das Publikum sein Empörung laut heraus. Angesiedelt ist der Film in der Zeit der argentinischen Militärdiktatur; Cecilia Rueda, eine Journalistin (Emma Thompson), wird entführt, nachdem sie einen kritischen Artikel publiziert hat. Während er nach ihr sucht, entwickelt ihr Mann Carlos (Antonio Banderas) seherische Fähigkeiten. Aus seinen Visionen geht hervor, was den Verschleppten widerfahren ist. Vermutlich beginnt damit das Verhängnis des Films: Statt einen kühlen Blick zu bewahren, optiert Hampton für die Flucht ins Übersinnliche – ganz so, als könnte er sich der Härte seines Sujets nicht nüchtern stellen.

Und weiter geht es in der hochaufgeladenen Zeichenkette: Die Visionen führen Carlos auf eine Finca namens „La Esperanza“. Dort sind nicht nur viele Vögel zu Hause, sondern auch drei Auschwitz-Überlebende. „Warum die vielen Vögel?“, fragt Carlos. Die Antwort lautet: „Weil sie für die Seelen derjenigen stehen, die das Konzentrationslager nicht überlebten.“ Die Plattheit des Symbols birgt etwas, was – polemisch formuliert – den Terror der Naziverbrechen auf ästhetischer Ebene wiederholt.

Es ist etwas fundamental anderes, wenn in einer Aufnahme von Claude Lanzmanns Dokumentation „Sobibor, 14. Oktober 1943, 16 Uhr“ Gänse schnatternd im Kreis laufen, nachdem der Erzähler-Protagonist des Films, Yehuda Lerner, Folgendes berichtet hat: Jedes Mal, wenn die SS Häftlinge erschoss, scheuchte sie dieGänse auf, damit sie die Schreie der Menschen übertönten. Mit dem Bild der Gänse findet Lanzmann zu einer Verdichtung, die ihre Wurzel im Konkreten hat.

Paolo Benvenutis „Segreti di Stato“ (Wettbewerb) erreicht diese Verdichtung zumindest für die Dauer einiger Einstellungen – wenn auch um den Preis großer Zähigkeit. „Staatsgeheimnis“ erzählt von einem Massaker, dem am 1. Mai 1947 in einer sizilianischen Kleinstadt elf kommunistische Demonstranten zum Opfer fielen. Benvenuti entschlackt das Dekor, verzichtet auf Helden, auf ausgestellte Anteilnahme, auf Musik. Er sucht nach Wegen, nicht die Ereignisse selbst, sondern deren Rekonstruktion abzubilden, was seinem Film eine wohltuende Kühle gibt. In einer schönen Szene wird eine Verschwörungstheorie mit Hilfe von Fotokarten auf einem Mahagonitisch ausgebreitet. Die Theorie reicht vom konkreten Ereignis bis hinauf zum Papst und zum US-Präsidenten Truman. Doch schon kommt ein Windstoß und bläst sie vom Tisch.

Margarethe von Trottas Wettbewerbsbeitrag „Rosenstraße“ hat große Probleme, eine der Vergangenheit angemessene Erzählhaltung zu entwickeln. Der Film handelt von einem der raren Augenblicke des Widerstands während der Nazizeit. Als ihre jüdischen Ehemänner im Wohlfahrtsamt in der Berliner Rosenstraße interniert wurden, protestierten die nichtjüdischen Ehefrauen vor dem Gebäude, bis sie die Freilassung erwirkten. Von Trotta entwickelt daraus eine in der Gegenwart angesiedelte Rahmen- und eine 1943 spielende Binnenhandlung. Das wäre sehr fruchtbar, nutzte die Filmemacherin die Gelegenheit, ihre eigene Position zu reflektieren: Wie blicke ich heute auf die Ereignisse? Wie schildere ich sie? Was kann ich zeigen, was nicht? Wie sollen sie erinnert werden, und wer erinnert sie? Doch auf die Metaebene verzichtet Trotta zugunsten des kunsthandwerklichen Dekors und der staksigen Dialoge. Auch ihr fehlt es an jenem kühlen Blick, der Geschichte so reflektiert und so durchdringt, dass man mehr erfasst als Geschichtchen.