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Archiv-Artikel

Gibt uns Gott ein Fußball-Wunder?

Mit dem Spiel Werder Bremen – Schalke 04 beginnt heute die 42. Bundesligasaison. Massen- wie Fachpublikum sehnen sich nach Schönheit und spielerischem Niveau. Parole: Erlebnis- statt Ergebnisfußball. Doch ist das realistisch? Nö. Macht aber nix

VON PETER UNFRIED

1Die Bestandsaufnahme: Es war einmal, und zwar Anfang der Siebziger, da spielten die besten Fußballer der Welt in der Bundesliga. Müller, Beckenbauer, Grabowski. Es war einmal und zwar Anfang der Neunziger, da waren die besten der Welt Deutsche und spielten in Italien. Klinsmann, Völler, Matthäus. Zu beiden Zeiten war Deutschland qualitativ Weltmarktführer (Weltmeister 1974, 1990). Heute sind die Besten der Bundesliga Ausländer, aber es sind nicht die Besten (obwohl Lucio, Makaay, D’Alessandro und theoretisch Rosicky schon sehr gut sind). Das DFB-Team wie auch die Bundesliga sind qualitativ im europäischen Vergleich schwer hinterher, wie die EM, die letzten europäischen Wettbewerbe und auch der aktuelle UI-Cup grade wieder zeigen.

Dennoch hält die Liga den europäischen Zuschauerrekord (im Schnitt 35.048). Und nun sind sogar knapp 340.000 Dauerkarten verkauft, ein neuer Rekord. Auch die ARD-Sportschau boomt. Wie, zum Teufel, kommt das?

Die Bundesliga genügt sich selbst – und das genügt im Moment ihrem Publikum. Zunächst liegt das an der vorangetriebenen Modernisierung und Professionalisierung der Infrastruktur. Das Erlebnis Stadionbesuch begeistert immer mehr Leute und ist offenbar wenig vom unmittelbaren sportlichen Erfolg und Niveau abhängig. Bestes Indiz: Selbst der sportliche, ökonomische und imagemäßige Totalabstürzer Borussia Dortmund hat mit 48.000 Dauergästen fast wieder so viel wie im Vorjahr.

Die neuen Stadien in Hannover, Berlin, Mönchengladbach werden helfen, den Aufschwung des Bundesligafußballs noch einmal zu steigern. Die Fernseheinnahmen der beiden Bundesligen steigen wieder – trotz des Ausstiegs des vormaligen Rechteverkäufers Infront (von 272 auf 300 Millionen Euro).

Und was die zusammen knapp 700 Millionen Euro Schulden der Liga betrifft: Wenn man die Klubs richtig versteht, sind das erstens bloß „Verbindlichkeiten“ oder „Kredite“ und zweitens „seriös finanziert“ oder frühestens ab 2015 zurückzuzahlen.

2Der Wunsch nach Erlebnisfußball: Ein großes Wort. Zwar hat die EM mit ihrem teilweise im besten Sinne berauschenden Fußball (Tschechien – Niederlande) Hoffnungen bei den Rezipienten geweckt – die konservative Branche orientiert sich traditionell und jetzt erst recht eher an Otto Rehhagel und Griechenland.

Schon vergessen? Jürgen Röbers abenteuerliches Erlebnisfußballexperiment beim VfL Wolfsburg musste in diesem Frühjahr unter Hohn und Spott von Konkurrenz, Publikum und eigenem Manager abgebrochen werden. „Schönspieler“ war seit je in Deutschland ein Schimpfwort. Und wer glaubt, dass sich in diesem Land noch irgendetwas ohne Druck und Willen von unten verändert, glaubt wohl auch an einen echten Rückgang der Arbeitslosigkeit. Spannend wird es erst, wenn das Volk im Stadion tatsächlich aufsteht und „Wir wollen euch spielen sehen“ singt – statt „Wir wollen euch kämpfen sehen“.

Allerdings: Wer wird uns selbst bei gutem Willen den berauschenden Fußball spielen? In diesem Jahr hat zwar das Transfergeschäft angezogen, das heißt aber nicht, dass neue, geniale Spieler gekommen wären. Es wurde hauptsächlich innerhalb der Liga gewechselt (Ailton, Klose usw.) bzw. alte Bekannte kamen zurück. Weil sie in Topligen nicht mehr gut genug waren (Babbel, Ziege usw.).

Es gibt – tatsächlich – eine neue Generation Fußballer. Sie heißen Hinkel, Lahm, Rau, Lauth, Broich, Kuranyi. Es sind talentierte, sehr vernünftige, taktisch, technisch und für die Öffentlichkeitsarbeit gut ausgebildete Profis. Es sind – daraus folgend? – keine genialen Einzelgänger mit großen Fähigkeiten am Ball. Logisch einerseits: Einzelgänger haben seit langem schon keine Zukunft mehr im Profifußball. Gleiches gilt aber auch für Teams ohne Spieler, die auch mal einen Gegner austricksen können.

Das klingt bis jetzt vielleicht alles sehr negativ, ist aber nicht nur so gemeint. Der Witz an der Fußballbundesliga besteht darin, genau hinzuschauen, um die kleinen, großen Dinge nicht zu verpassen. Also nicht nur: Was macht Ailton in Schalke? Sondern: Wie macht er es – ohne Micoud? Stabilisiert sich der Fortschritt beim VfB Stuttgart – nicht nur ohne Magath, sondern auch ohne Bordon? Kann der FC Bayern einen Paradigmenwechsel schaffen?

Die Hoffnung mancher darauf, dass Sebastian Deisler erstens Bayern-Kapitän sein möge, zweitens seine exzellenten Möglichkeiten ausschöpfe, symbolisiert auch den Wunsch nach ideeller Veränderung, nach dem schöneren FC Bayern. Amtsinhaber Kahn („Wie der Erfolg zustande kommt, ist mir persönlich völlig wurscht“) steht für das Beharren auf das Alte, das Feindbild. Fortschritt bestünde also darin, wenn der Klub mittelfristig mehr über Deisler rezipiert würde als über Kahn. Das ist illusorisch, aber vielleicht gibt es eine utopische Phase?

Wer wirklich ein Abenteuer sucht, wer wirklich Neues mitkriegen will, der muss kleiner einsteigen, in das …

3 … Abenteuer Mainz 05: Das mit Abstand Spannendste von den unzähligen Vorberichten der letzten Wochen waren Interviews mit Jürgen Klopp, dem Trainer von Aufsteiger Mainz 05. Klopp, geboren in Stuttgart, aufgewachsen im Schwarzwald, spielte zwölf Jahre als Profi in Mainz, meist gegen den Abstieg aus der Zweiten Liga. Seit er am Faschingsdienstag 2001 auf die Trainerbank wechselte, ist Mainz ein interessanter Fußballort.

Manche sinnieren ja schon vom „neuen Freiburg“ und fragen Klopp demnach, ob er auch ein „Linker“ sei – wie ja Volker Finke schon auch. Um es mit dem Soziologen Klaus Theweleit zu sagen: Ach, Kinder, lasst doch den Kram mal bleiben. Den Fußballexperten Theweleit interessiert, ob ein Team einen „aufgeweckten, intelligenten, zivilisierten, modernen Fußball“ spielt. Das zu bewerkstelligen ist allen Anschein nach genau das, womit sich Klopp (wie ja auch Finke) Tag und Nacht beschäftigt.

Und jetzt kommt das Spannende: Im Gegensatz den meisten redet er auch (noch) öffentlich darüber, wie, was und warum er etwas macht. Ein Fußballtrainer, der etwas SAGT! ZUM SPIEL. Im Phrasenland der Bundesliga ist das nachgerade sensationell. Zum Beispiel sagt Klopp (in der FAZ) zur monatelang wabernden Frage, was für ein Fußballer eigentlich Michael Ballack sei: „Einer, der einen defensiven Zweikampf gewinnt, loszieht, einen klaren Ball spielt, die Flanke kommt, und er nickt ihn ins Tor.“

Mehr hätte dazu inhaltlich selbst ein Beckenbauer nicht beisteuern können bzw. ganz bestimmt nicht. Klopp hat dem engagierten Fachpublikum zudem einen wunderbaren Köder hingehalten, nach dem man möglicherweise monatelang wird schnappen können. Mainz, sagt er, spiele nicht gegen bestimmte Teams, sondern stets und immer nur „gegen den Ball“. Heißt: Mainz beschäftige sich „extrem damit, was wir machen, wenn der Gegner den Ball hat“, unabhängig davon, wer grade beim Gegner am Ball ist. Im Spiel gegen den Ball will er mit Mainz das beste Team der Liga sein, sagt Klopp. Nicht als offizielles Saisonziel definiert ist der Verbleib in der Bundesliga. Das hat man auch nicht alle Tage.

Und dann ist da noch …

4 … das Abenteuer Klinsmann: Wie auch immer das zustande kam – der neunte Bundestrainer des DFB heißt Jürgen Klinsmann. Das ist wirklich mal was. Und wird auch auf die Bundesliga abfärben. Vielleicht merkt ja der eine oder andere doch, wie viel eigentlich von Klinsmann und der Zusammenarbeit mit ihm abhängt. Bis zur WM 2006 wird der Fußballstandort Deutschland von selbst boomen. Aber wenn der Erfolg im internationalen Vergleich auch dort ausbleibt …

Manche finden Klinsmann ja nur gut, weil Matthäus damit fern gehalten wird. Ein gutes Argument. Diese Konstellation brachte schon mal den unwahrscheinlichen Erfolg, nämlich den EM-Titel 1996 (trotz Berti Vogts). Auch, aber nicht nur, weil Matthäus entfernt worden war. Mehr noch, weil der Kapitän Klinsmann das Team zu seinem gemacht hatte.

Und wer immer Klinsmann auf seine technische Limitiertheit reduzieren wollte, hat die Chance nicht verstanden, die der Fußball bietet. Ja, Gottle, dann verstolperte er halt früher mal einen Ball. Ja, Gottle, dann schlägt er jetzt im ersten Eifer halt einen „Schnelligkeitstrainer“ vor. Klinsmanns große Leistung bestand darin, maximal und professioneller als die meisten in das zu investieren, was lohnte und was er konnte. Dass er jetzt die Griechen von Rehhagel als Beispiel dafür genannt hat, dass es geht, muss man nicht als anachronistisch-netzerschen Großmachtanspruch sehen. Also mit dem Tenor: Wenn selbst die Griechen was reißen, dann müssten wir doch erst recht usw.

Es kann ihm auch Vorbild für das älteste und wichtigste Trainerprinzip sein: erkennen, welcher Fußball mit einem Team möglich ist und Erfolg verspricht. Ja, klar, Klinsmann ist Schwabe, und Manager Oliver Bierhoff redet wie ein neoliberaler Jungabteilungsleiter. Aber wenn man die Leistungen, die internationale Erfahrung und Reputation sowie Stil und Auftreten jenseits des Spielfeldes zusammennimmt, welcher Ex-Nationalspieler stünde besser da?

Wer jetzt sagt, die Frage sei doch, wo man denn heute noch Leute auf Entscheiderpositionen stelle, die ihren Job nicht erlernt haben? Na, in Klitschen und Familienbetrieben. Und ist der DFB nicht mindestens eins von beiden? Vielleicht sind Verband und Branche noch nicht ruiniert genug für einen Konzepttrainer wie Volker Finke. Ganz bestimmt ist Finke aber auch nicht ruiniert genug, um zum DFB zu gehen.

Ob Klinsmann was retten kann, weiß selbstverständlich keiner. Dass immerhin er es probieren kann, obwohl er jahrelang nicht zum Klüngel gehörte, auch das ist ein Fortschritt.