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Archiv-Artikel

Gefährliche Spannungen um Taiwan

Im Streit zwischen der Volksrepublik China und Taiwan wächst die Gefahr eines bewaffneten Konfliktes. Kaum ein Tag vergeht ohne neue, scharfe Warnungen vom Festland an die 23 Millionen Landsleute jenseits der Taiwan-Straße

PEKING taz ■ Chinas Staats- und Parteichef Hu Jintao griff zum Telefon, um US-Präsident George W. Bush zu ermahnen. Die Lage sei „hochsensibel und kompliziert“ erklärte Hu. Die Amerikaner dürften „keine falschen Signale“ an Taiwan senden. Grund für den Anruf: Zum Ärger Pekings wollen die Amerikaner Taiwan aufrüsten – mit Kriegsschiffen, U-Booten, Kampfjets und Raketenabwehrsystemen für 18 Milliarden US-Dollar. Der geplante Deal kommt zu einer Zeit, in der Peking „so nervös wie nie zuvor“ über die Lage auf Taiwan ist, berichten Diplomaten. Militärexperten warnen davor, die Krise zu unterschätzen.

Seit der Wiederwahl von Taiwans Präsident Chen Shui-bian im März haben die Pekinger das böse Gefühl, dass ihnen nur noch wenig Zeit bleibt, um Chen daran zu hindern, seinen Traum zu verwirklichen: Taiwan in einen souveränen und international anerkannten Staat zu verwandeln. Das will Chinas Führung mit aller Macht verhindern. Sie betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz.

Ausführlich berichteten Chinas Medien in den letzten Tagen über ein großes Manöver der Volksbefreiungsarmee. Zwar gibt es jedes Jahr solche Übungen mit tausenden Soldaten. Neu war aber, dass die Armee die Eroberung der Penghu-Inselgruppe probte, die nur 24 Seemeilen vor Taiwans Küste liegt. Dies könnte ein Taktikwechsel der Generäle sein: Sie denken womöglich daran, Teile Taiwans zu besetzen, um die Bevölkerung zu erschrecken und Taipeh unter Druck zu setzen. In der Taiwan gegenüberliegenden Provinz Fujian sind rund 500 chinesische Mittelstreckenraketen stationiert. Unruhig machen auch Berichte, in denen oft ungenannte Politiker verschiedene Zeitpunkte für eine „Lösung“ des Konflikts nennen, zwischen 2006 und 2020. Der chinesische Sicherheitsexperte Yan Xuetong: „Am Besten wäre es, möglichst früh mit militärischen Mitteln die Unabhängigkeit Taiwans zu stoppen.“

Besonders empfindlich reagierte Peking auf die Ankündigung Chens, die aus den 30er-Jahren stammende Verfassung Taiwans bis 2008 durch ein modernes Grundgesetz zu ersetzen. Die Pekinger wittern dahinter den Plan, die Insel rechtlich vom Festland zu lösen. Chen beteuert zwar, mit der neuen Verfassung werde keine Unabhängigkeitserklärung verbunden sein. Doch das glaubt Chinas Führung nicht.

Auch die Taiwanesen probten in den vergangenen Wochen mit einem Manöver den Ernstfall. Damit nicht genug: Die USA begannen bereits im Juni im Pazifik mit der mehrwöchigen Militärübung „Summer Pulse“. US-Militärs bestreiten, dass die Kriegsspiele etwas mit dem Taiwankonflikt zu tun haben oder gar als Warnung an China gedacht seien. Zwar garantiert Washington die Sicherheit Taiwans, doch hat die US-Regierung Chen bereits mehrfach ermahnt, Peking nicht zu provozieren.

Würden die USA – traditionell engster Verbündeter Taiwans – die Insel bei einem Angriff mit ihrer ganzen Macht verteidigen? Eine starke Taiwanlobby agitiert in Washington eifrig gegen Senatoren und Abgeordnete, die nicht bereit sind, für die Insel in einen Krieg zu ziehen. Beobachter fürchten, dass Chen und viele Inselbewohner das Säbelrasseln vom Festland nicht ernst nehmen, weil sie sich zu stark auf die Amerikaner verlassen.

Laut den Festlandspolitikern gibt es nichts, was so schlimm für das 1,3-Milliarden-Reich China wäre wie der endgültige Verlust der kleinen Insel mit 23 Millionen Einwohnern: „Das Taiwanproblem“, sagt der Pekinger Experte Yan, „berührt die staatliche Existenz der Volksrepublik China, ihr Fortbestehen oder ihren Zerfall.“ Geht es um Taiwan, weiß Chinas Regierung ihre Bevölkerung hinter sich wie bei kaum einem anderen Thema.

Vom Kindergarten an haben die Chinesen gelernt, dass ihre Nation ohne Taiwan unvollkommen bleibt. Nur eine winzige Minderheit meint, dass die Inselbewohner selbst über ihr Schicksal entscheiden sollten. „Ein Kind darf sich auch nicht von seiner Mutter lossagen“, ist eine beliebte Begründung für den Herrschaftsanspruch.

Selbst sonst liberale Chinesen geraten in Rage, wenn jemand Pekings Recht bezweifelt, Taiwan zur Wiedervereinigung zu zwingen. „Eher würde ich mein ganzes Geld opfern, um einen Krieg zu unterstützen“, sagt etwa ein Pekinger Dozent. Funktionäre beteuern zurzeit immer wieder, für Chinas Einheit sei Peking gar bereit, den Wirtschaftsaufschwung und die Olympischen Spiele 2008 in Peking zu riskieren. JUTTA LIETSCH

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