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Archiv-Artikel

Aufstand der Chancenlosen

Das Stephani-Viertel kämpft gegen vereinten Politikerwillen und Lärm durch neue Straße ins Hafenrevier. Während des Umbaus käme mit „Notstraßen“ noch mehr Krach auf die Anwohner zu

Bremen taz ■ Sie haben schon verloren. Die Bewohner des Stephani-Viertels, deren backsteinernes Idyll genau zwischen der City und den zur Überseestadt erklärten Hafengebieten liegen, scheinen ohne Chance: Der Lärm, der jetzt von dem Gewirr von Asphaltschleifen der Schnellstraße nach Delmenhorst wie ein dumpfes Rauschen in den Frieden aus Kopfsteinpflaster und rosa Hängegeranien dringt, wird zunehmen. Eine zweispurige Straße entlang der Wallanlagen soll die Hafenflächen erreichbar machen. „Die planen ein Monster“, sagt Caroline Voigt von der Anwohnerinitiative. Die neue Straße würde über 32 Meter breit. Damit hätte das Quartier nicht nur an seiner Westseite eine Lärmquelle, sondern auch am nördlichen Rand.

Mehr noch: Die Straßenbahn soll auf der Höhe des ehemaligen Saturn-Kaufhauses nicht mehr mit der Vorfahrtsstraße den Rechtsknick vollziehen, sondern weiter geradeaus die Faulenstraße entlangfahren. Die führt jetzt noch still und friedlich auf einen Hügel zu, hinter dessen Bäumen das Rot von Eduscho schimmert. Der Hügel käme weg, das Schnellstraßenknäuel, der so genannte Stephani-Knoten, wird komplett angehoben, drunter rollen Autos und Straßenbahn gemeinsam ins neue Revier.

Der Straßenbahnverlauf ist jedoch noch nicht fix. Derzeit werden andere Varianten geprüft, etwa die, die Bahn wie bisher mit der Hauptstraße mitlaufen zu lassen und dann auf die neue Straße Am Wall abknicken zu lassen. Ein Gutachten soll in einigen Wochen vorliegen, und zumindest der baupolitische Sprecher der SPD, Carsten Sieling, tendiert zum Wall: „Meine Bedenken gegen die Variante Faulenstraße nehmen zu.“

Die Anwohner wollen sich nicht vorwerfen lassen, nicht über den Tellerrand hinaus zu blicken. Klar müsse das Hafengebiet angebunden werden, sagt Caroline Voigt. Aber: „Es gibt doch schon eine Anbindung.“ Über die Lloydstraße nämlich.

Wenn sie aus ihrer Küche guckt, sieht sie auf ein paar Bäume, vor allem aber auf die nur wenige Meter entfernte B 75 mit ihren im Sekundentakt vorbeidonnernden Lastern und auf die Abfahrt von der Weserbrücke ins Stephaniviertel. Wenn das alles umgebaut wird, kommt auf die Anwohner noch viel mehr zu. Dann nämlich sollen diverse „Bau-“ oder „Notstraßen“ die Ab- und Auffahrten ersetzen, die dann neu gestaltet und ergo gesperrt werden. Die Notstraße im Falle Stephani-Ostabfahrt verliefe dann direkt vor Voigts Fenster – dort, wo heute noch Bäume stehen. „Dann kann ich vom Balkon aus Würstchen verkaufen“, sagt sie. Witzig klingt das nicht.

Caroline Voigt wird dennoch bleiben. Die Wohnung haben einst ihre Großeltern gekauft. Als endlich Lärmschutzwände entlang der Rennstrecke in die Erde gerammt wurden, sei das ganze Haus beschädigt worden. „Da waren überall Risse.“ Was aus der Bausubstanz wird, wenn eine Notstraße ihren Balkon flankiert, will Voigt lieber nicht wissen.

Die Politiker üben sich im Spagat, haben und wollen aber keine Alternative. Wohl, was die Notstraße angeht. „Die müsste woanders entlanglaufen“, sagt Ortsamtsleiter Robert Bücking, und SPD-Sieling, Karin Krusche von den Grünen und Dieter Focke von der CDU äußern sich ähnlich oder sprechen von Lärmschutzmaßnahmen. Man müsse darauf achten, „dass das Quartier im Innern entwicklungsfähig bleibt“, sagt Bücking weiter. „Wir nehmen die Sorgen der Anwohner ernst“, sagt Focke. Was die Straße am Wall angeht, „reicht da nicht eine Fahrspur?“, fragt Karin Krusche. Aber dass das Stephaniviertel an seinen Rändern belastet wird, steht fest. Karin Krusche: „Es gibt keine Alternative.“

Susanne Gieffers

Die Anwohnerinitiative veranstaltet eine Bürgerversammlung mit PolitikerInnen: Mittwoch, 10.9., 18 Uhr, Gemeindesaal der Stephanikirche