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Archiv-Artikel

Die Verwaltungshydra und die Jobcenter

Das Kernstück der Fusion von Arbeitslosen- und Sozialhilfe will nicht zum 1. Januar gelingen. Gemeinsame Jobcenter kommen wegen des Streits zwischen Sozial- und Arbeitsämtern nicht rechtzeitig zustande. Kommunen fürchten Hydra Arbeitsagentur

VON PASCAL BEUCKER

Es war die zentrale Idee von Hartz IV. Ab dem 1. Januar 2005 sollten Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger „aus einer Hand“ betreut werden. So genannte Jobcenter waren als einheitliche Anlaufstelle für alle erwerbslosen Menschen bei den Agenturen für Arbeit vorgesehen. Doch die Zusammenarbeit mit den kommunalen Trägern der bisherigen Sozialhilfe ist schwerfälliger als erwartet – die Arbeitsgemeinschaften funktionieren oft nicht.

Beispiel Recklinghausen (Nordrhein-Westfalen): Dort haben die Agentur für Arbeit und viele Städte bereits eine Arbeitsgemeinschaft eingerichtet. Trotzdem ist zum Beispiel in Oer-Erkenschwick klar: Das gemeinsame Jobcenter wird frühestens Mitte 2005 kommen. „Wir stehen noch in Verhandlungen mit dem Arbeitsamt, wie diese Dependance aussehen wird“, sagte die Referentin für Soziales Gabriele Gonstalla. Schwierigkeiten macht auch die Gewerkschaft: Die Ver.di-Personalratsmitglieder in den Rathäusern wollen der Umsetzung von Sozialamts-Mitarbeitern in die neuen Job-Büros nicht zustimmen – wenn die Arbeitsbedingungen dort nicht klar sind. Sie kritisieren, dass Mitbestimmungsrechte so wenig Beachtung fanden wie Detailfragen nach Kompetenzen, Qualifizierung und Zeitplan. „Daher können wir zum jetzigen Zeitpunkt einer Umsetzung der Mitarbeiter nicht zustimmen“, sagt der Recklinghausener Personalrat Karl Motz.

Beispiel Berlin: Eine Mitte Juli vom Senat beschlossene Rahmenvereinbarung soll hier die Grundlage für die Zusammenarbeit von den Arbeitsämtern („Regionalagentur für Arbeit“) und den Sozialämtern der Bezirke sein. Bloß bleibt das Bild innerhalb des Rahmens noch reichlich unscharf. „Wir werden es bis zum 1. Januar vermutlich nicht hinbekommen“, so räumt Sozialsenatorin Heidi-Knake-Werner (PDS) ein, „dass es in jedem Bezirk ein Jobcenter gibt“. Vorübergehend sollen daher die Sozialämter für die bisherigen Sozialhilfeempfänger zuständig sein und die Arbeitsämter für die von Arbeitslosenhilfe Betroffenen – das ist die alte, breit kritisierte Behördenvielfalt.

Egal ob in Pankow, Spandau, Tempelhof-Schöneberg oder Berlin-Mitte – in etlichen Bezirken fehlen passende Räume für gemeinsame Jobcenter. Auch deren Personalausstattung der Jobcenter ist vielfach noch gänzlich ungeklärt. „Zum 1. Januar geht es darum, dass die Leute ihr Geld kriegen. Beratung und Vermittlung werden da erst mal hintanstehen müssen“, konstatiert die Bürgermeisterin von Charlottenburg-Wilmersdorf, Monika Thiemen (SPD)

Beispiel Bad Kissingen (Bayern): „Im Moment ist hier alles noch in der Schwebe“, sagt Bertin Ströhlein von der Agentur für Arbeit. Zwar will er ab Mitte August mit dem Landkreis Bad Kissingen über die Zusammenarbeit verhandeln. Aber: Der Kreis wolle „nur über eine Kooperation unterhalb der Arbeitsgemeinschaft“ verhandeln. „Das ist für uns natürlich nicht befriedigend“, ärgert sich Ströhlein. Er gehe davon aus, dass es nicht gelingen werde, schon zu Beginn kommenden Jahres alle erwerbslosen Menschen „aus einer Hand“ zu betreuen. Seine Vermutung: Bad Kissingen verzögere mit Bedacht – der Kreis wolle erst die Verfassungsbeschwerde abwarten, mit der die deutschen Landkreise in Karlsruhe überprüfen lassen wollen, ob das Hartz-IV-Gesetz überhaupt nach den Regeln des Grundgesetzes zustande kam.

„Es wird wohl zu einer Arbeitsgemeinschaft kommen“, meint hingegen Landratsamtssprecher Stefan Seufert. Allerdings sei „die Rechtsform noch nicht ganz klar“. Und er wisse auch gar nicht, so ziert sich der Sprecher des Kreises, „wie das genau funktionieren soll“. Seufert mokkiert sich über das „Hartz-IV-Chaos nach dem Maut-Chaos“ und verweist darauf, dass Bad Kissingen die grundsätzliche Kritik des Bayerischen Landkreistags teile.

Dessen Präsident Theo Zellner (CSU) kritisiert, die vorgeschriebenen Arbeitsgemeinschaften führten „zu vielen noch ungelösten und unlösbaren Problemen“. So sehe sich jede einzelne kommunale Verwaltung „der Verwaltungshydra der Bundesagentur für Arbeit gegenüber, die als hierarchisch organisierte und strukturierte Bundeszentralverwaltung nur in Einheitslösungen von Flensburg bis Berchtesgadener Land denken kann“.