: Das Kartell des Schweigens
Gemeinsam mit den Managern sorgen Arbeitnehmervertreter dafür, dass Informationen über Vorstandsgehälter unter Verschluss bleiben
VON HANNES KOCH
Die Debatte um die Gehälter von Deutschen Konzernvorständen ist reich an Merkwürdigkeiten. Eine davon: Den Managern gelingt es, Informationen über die Höhe ihrer Bezüge zurückzuhalten, obwohl die Zahlen mehr oder weniger öffentlich sind. In jedem Unternehmen gibt es Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre, die wissen, wie viel die Chefs wirklich verdienen. Obwohl sich die Arbeitnehmervertreter immer wieder über die Manager-Millionen aufregen, wenn es gerade ihrer eigenen Klientel an den Geldbeutel geht, schweigen sie bei dem heiklen Thema doch wie ein Grab.
Die Republik streitet darüber, ob die Vorstände der Konzerne zu viel verdienen – und wenn ja, warum das nicht geändert wird. Ausgelöst wurde die Debatte durch den Mannesmann-Prozess, bei dem sich unter anderem Deutsche-Bank-Vorstand Josef Ackermann für überzogene Abfindungen zugunsten der ehemaligen Mannesmann-Manager rechtfertigen musste. Das Missverhältnis zwischen steigenden Vorstandsgehältern und sinkenden Beschäftigtenlöhnen ist gegenwärtig der Kernpunkt der Gerechtigkeitsdiskussion.
Wer diese Debatte führen will, muss wissen, was die Herren und wenigen Damen in den großen Büros verdienen. Daher die von Gewerkschaftern, Regierungs- wie Oppositionspolitikern gleichermaßen erhobene Forderung nach der Transparenz der Managerbezüge. Dass die Veröffentlichung der fixen und variablen Gehaltsbestandteile, der Aktienoptionen und Pensionszusagen überhaupt noch eingeklagt werden muss, gehört auch zu den Merkwürdigkeiten. Denn der von Wirtschaftsvertretern ausgearbeitete Corporate-Governance-Kodex ist in dieser Frage ganz klar. In dem Empfehlungskatalog für das Verhalten der Unternehmen heißt es: „Die Angaben“ über die Gehälter von Konzernvorständen „sollen individualisiert erfolgen“.
Doch nur ein Drittel der im Deutschen Aktien Index DAX vertretenen 30 Großunternehmen kommt dieser Verpflichtung auch nach. Manche, wie die Commerzbank, nennen im Geschäftsbericht nur die konkreten Bezüge des Vorstandschefs, schweigen sich aber über die individuellen Summen der anderen Vorstände aus. Andere, wie die Allianz AG, begründen offensiv, warum sie von Offenheit gar nichts halten: Die Veröffentlichung würde zur Nivellierung der Bezüge der einzelnen Vorstände führen, „was den Interessen der Gesellschaft und der Aktionäre widerspricht“.
Nun sind die Aufsichtsräte dieser Unternehmen zur Hälfte mit Vertretern der Arbeitnehmer besetzt. Und auch in den Ausschüssen der Aufsichtsräte, die die Gehälter der Vorstände festlegen, sitzen Gewerkschafter. Bei der Commerzbank sind dies bespielsweise die Betriebsräte Werner Malkhoff und Uwe Tschäge. Doch auch die vermeiden es, der Öffentlichkeit die heiß begehrten Informationen zukommen zu lassen. In manchem Unternehmen geht die Verschwiegenheit der Gewerkschafter im Ausschuss so weit, dass sie nicht einmal ihre eigenen Arbeitnehmer-Kollegen im Aufsichtsrat über die Vorgänge in den klandestinen Zirkeln informieren.
Warum das so ist? Plauderten sie aus, wie viele Millionen Euro der Finanzvorstand oder der Personaldirektor verdienen, „würde das Verhältnis zur Kapitalseite leiden“, sagt Commerzbank-Aufsichtsrat Tschäge. Die Bedeutung des Satzes hat man sich so vorzustellen: Im positiven Fall gibt es ein ständiges Geben und Nehmen zwischen Managern und Beschäftigtenvertretern. Die einen bekommen ihre hohen Gehälter, die anderen können mitunter verhindern, dass einige hundert Jobs der Rationalisierung zum Opfer fallen. Würden die Gewerkschafter das Vertrauensverhältnis zur Chefetage aufs Spiel setzen, ruinierten sie ihre politische Rolle im Unternehmen und könnten für ihre Belegschaften weniger durchsetzen. Die Macht im Unternehmen liegt letztlich beim Vorstand, nicht beim Betriebsrat.
Außerdem kann die Kapitalseite die geltende Rechtslage ins Feld führen. Nach Paragraf 404 des Aktiengesetzes müsse man Vorstandsgehälter als Firmengeheimnis betrachten, dessen Preisgabe bis zu einem Jahr Gefängnis kosten könne, erklärt der Münchner Strafrechtler Bernd Schünemann. Nicht ganz so hoch hängt Ver.di-Jurist Martin Lemcke die Angelegenheit. Doch auch er meint, Arbeitnehmer-Aufsichtsräte seien zum Schweigen verpflichtet, andernfalls würden sie eine Schadensersatzklage riskieren.
Freilich: All das wäre juristisches Neuland. Denn Urteile gegen allzu mitteilungsfreudige Betriebsräte gibt es nicht. Kein Gewerkschafter hat bislang seinen Vorstand offensiv herausgefordert, indem er dessen Bezüge veröffentlichte. Es wird geschwiegen aus Angst vor etwas, das man nicht genau kennt.
Seitdem sich aber die Gerechtigkeitsdebatte am Thema „Vorstandsgehälter“ so richtig entzündet hat, kommt Bewegung in die Gewerkschaften. Man wolle das von den Vorständen oktroyierte „Schweigekartell brechen“, sagt Ver.di-Mitarbeiter Uwe Fullong, der selbst im Aufsichtsrat der Commerzbank sitzt. Aber ganz vorsichtig: Angesichts der realen Macht- und Rechtslage meint Ver.di, erst einmal ein paar Vertreter der Kapitalseite von der Notwendigkeit der Veröffentlichung überzeugen zu müssen, bevor man sich zu sehr aus dem Fenster hängt. Die mangelnde Transparenz ist ein schönes Beispiel dafür, wie die Wirtschaft eine Selbstverpflichtung eingeht, sie aber durch die kalte Küche wieder außer Kraft setzt.
Bislang hat die Politik – auch die rot-grüne Bundesregierung – den Konflikt mit den Chefetagen der deutschen Global Player gescheut. Dass das nicht länger opportun sein könnte, scheint zumindest der SPD-Führungsriege nun zu dämmern.
Bundesfinanzminister Hans Eichel unterstützt inzwischen öffentlich die Ansage seiner Justizkollegin Brigitte Zypries, die Transparenz gesetzlich zu erzwingen, falls die Firmenvorstände den Empfehlungen des Kodex nicht nachkommen. SPD-Fraktionsvize Joachim Poß wird konkreter: Wenn sich die 30 DAX-Konzerne nicht bis Oktober bereit erklärten, die individuellen Gehälter zu veröffentlichen, sagte er der taz, „muss man zu einer gesetzlichen Regelung kommen“.