: Was uns der Doktor wert ist (I)
Quivive“ heißt die Fernsehsendung im RBB Berlin, deren Moderation Antje Müller-Schubert gerne übernommen hätte. Die Sendung gibt Tipps und liefert Hintergründe für Krankheitsbewusste. Und „Kompliziertes leicht erklären, das liegt mir“, sagt Müller-Schubert. „Die ist auf dem Quivive“, sagt man, wenn eine Person wach und kess und fix ist. So gesehen wäre die Show wie gemacht für sie, das findet sie auch, auf jeden Fall.
Doch beim Casting fiel die 37-Jährige durch – keine Live-Erfahrung. Was aber kein Beinbruch ist, denn die Schnellrednerin hat ja immer noch hundert andere Eisen im Feuer, gestaltet Internetseiten, übersetzt englische Texte, berät Unternehmen, schreibt Broschüren und Bücher und verkauft überhaupt auf alle denkbaren Arten und Weisen ihr Wissen, das Wissen einer Ärztin.
Vor zehn Jahren wurde Müller-Schubert an der Anästhesie der Berliner Charité eingestellt – zu ihrer eigenen Überraschung, denn „so berühmt“ wie das Krankenhaus waren ihre Examensnoten „eigentlich nicht“, sagt sie. Andererseits hat der Professor, ein Selbstdarstellungsexperte, damals auch ihre Medienkenntnisse schon zu schätzen gewusst. Denn Müller-Schubert hatte neben der Medizin auch Wissenschaftsjournalismus in Berlin studiert.
Genutzt haben ihr solche Interessen im Klinikalltag jedoch nichts, im Gegenteil. Schnell wurde klar, dass ein Fräulein Umtriebig, das Kunstausstellungen organisiert, mit denen Profs. nicht behelligt werden wollen, das im Ossi-Wessi-Konflikt, der damals auch die Charité heimsuchte, quer treibt – dass eine junge Ärztin, der ihr Job trotz mancher 60-Stunden-Woche zu eingleisig ist, eher unangenehm auffällt.
„Ich fühlte mich gemobbt“, lautet ihre Bilanz. „In Krankenhäusern wird gemobbt ohne Ende.“ Ist in Betrieben, wo jede Hand und jeder Kopf gebraucht werden, denn überhaupt Zeit, um Kollegen Böses nachzusagen? Doch, meint sie. Denn der unberechenbare Arbeitstakt fördert Klatsch und Häme ungemein: „Im Nachtdienst sitzt und wartet man stundenlang auf die nächste OP, und da wird getratscht.“
Sie habe ihren Beruf auch geliebt. Und trotzdem: „Es herrschte eine gespannte und kühle Arbeitsatmosphäre, die ich auf Dauer unerträglich fand.“ Hinzu kam, dass sie bald in der Herzanästhesie arbeitete. „Worauf man da nicht vorbereitet ist, wenn ein Schwerkranker beim Eingriff stirbt – auf dem Tisch bleibt, wie wir sagten. Besonders schmerzhaft ist das, wenn es Kinder betrifft. Das verarbeitet dann jeder für sich allein.“ Das war ihr zu hart. „Ich hatte Angst, meine musische Ader zu zerstören.“
An einem Mittwoch im Dienst stellte eine befreundete Gynäkologin dann bei ihr eine Schwangerschaft fest – „damit war ich raus. Das habe ich genutzt, mich zu verabschieden.“ Sie nahm drei Jahre Erziehungsurlaub und begann mit Internet, Broschüren, Büchern, etwa zum Herzinfarkt bei Frauen.
Natürlich, das sieht sie auch so, ist das die Selbstvermarktung einer Medizinerin, die im Studium gelernt hat, dass die Arbeit eines Arztes eigentlich nicht bezahlbar ist, dass Medizin und Geld sowieso nichts miteinander zu tun haben dürfen. „Aber wissen Sie“, sagt sie, „die Kollegen, die noch vor zwei Jahren über mich gelächelt haben, verlangen jetzt selbst Bares in ihren Praxen.“ So viele Leistungen werden beim Arzt mittlerweile privat am Tresen abgerechnet.
Müller-Schubert hat derweil Geld im New-Economy-Crash versenkt und wieder verdient und weiß als Kind einer Kaufmannsfamilie, dass die Arbeit nie aufhört. Aber sie weiß auch, dass sie „nicht enden will wie viele Exkolleginnen, die durch die Arbeitsbelastung Jahre verloren haben“ … älter aussehen als sie sind, will sie sagen, wenn auch nicht so direkt, aus Respekt davor, dass so viele Frauen sich das antun.
Ärztin sei ein wunderbarer Beruf, wirklich. „Aber ich hatte eine Alternative.“ ULRIKE WINKELMANN