: Die Beherrschung des Drachens
Drachenbootfahren wird immer beliebter in Berlin. Jetzt streiten sich sogar schonzwei Verbände um die Freizeitsportler – die aber wollen meist nur ihren Spaß
Dumpfe Trommelschläge hallen über die Gewässer Berlins. Mit markigen Schreien im Rhythmus der Pauke treiben bis zu 20 sportliche Männer und Frauen antik wirkende Riesenkanus mit Drachenkopf und Lindwurmschwanz über die Seen. Wie Galeerensklaven tauchen sie ihre Paddel unermüdlich in das Wasser. Freiwillig. Drachenbootfahren ist eine der Trendsportarten dieses Jahres. Immer mehr Berlinerinnen und Berliner greifen zum Paddel und verhelfen einer Bootsart, die in China schon seit mehr als 2.000 Jahren über die Wasser gesteuert wird, zu neuer Popularität.
Erst vor 15 Jahren wurde in Deutschland das erste Drachenbootrennen veranstaltet. Heute können sich die Veranstalter großer und kleinerer Rennen kaum vor Anfragen retten. Spaßteams gründen sich beinahe überall, wo es einen Wasserzugang gibt. Meistens sind die Veranstaltungen für gemischtgeschlechtliche Teams ausgeschrieben, auch das reizt viele. Cliquen werden zu Sportteams. 16 bis 20 Ruderer sitzen in einem Drachenboot an den Paddeln. Dazu kommt ein Teammitglied am Steuer und eines an der Trommel. Alle Bootsinsassen zu koordinieren ist eine der Hauptschwierigkeiten beim Drachenbootfahren. Und wer es wirklich weit bringen will in seinem Sport, der muss kräftig an der Muskulatur arbeiten. Breite Schultern und muskulöse Oberkörper waren auch am Samstag in Tegel an der Greenwichpromenade zu Bewundern beim Einladungsrennen des Berliner Kanuclubs Borussia.
Die wackeren Männer und Frauen der Spreepoint Dragons waren auch wieder am Start. Sie gehören zu den besten Teams in Berlin. Zum Drachenbootsport sind sie eher durch Zufall gekommen. Als Mitglieder eines Fitnessstudios am Spreeufer in Köpenick haben sie sich zur Mannschaft geformt und sind einfach losgerudert. Erfahrungen im Wassersport hatten die wenigsten von ihnen. Die Dragons verstehen sich als ehrgeiziges Fun-Team. Inzwischen haben sie es sogar zur Berliner Meisterschaft über 1.000 Meter gebracht. Darauf sind sie durchaus stolz. Auch weil in anderen Booten oft Leistungssportler aus dem Kanubereich mitpaddeln. So war es auch am Samstag im Norden Berlins. Ganz vorne konnten sich die Spreepoint Dragons nicht platzieren. „Aber wir sind von den Zeiten schon ganz nah dran“, meinte Captain Jerry Redlin nach den ersten Läufen.
Das Einladungsrennen in Tegel über 200 Meter hat gezeigt, dass der Funsport Drachenbootfahren auf dem Weg zum Leistungssport ist. Der Deutsche Drachenbootverband kämpft mit dem Kanuverband um die Trendsportler. Der Kanurennsport verliert immer mehr an Popularität. Die Drachenbootgemeinde würde dem guten, alten Sportverband jede Menge Mitglieder bringen. Der Drachenbootverband will jedoch eigenständig bleiben, sich nicht vereinnahmen lassen. In Tegel war der Veranstalter ein Club des Kanuverbandes. Die Boote wurden mit Spitzenkanuten besetzt. Reine Drachenbootspezialisten wie die Dragons konnten da nur hinterherrudern. Am Ende kamen sie auf den vierten Platz.
Doch den Spaß wollen sich die Köpenicker nicht nehmen lassen. Sie werden weiterhin zu den Rennen auch außerhalb Berlins anreisen, einfach weil es ihnen Spaß macht und weil sie zeigen können, dass sie schnell unterwegs sind, auch wenn sie zwischen den Rennen einmal etwas anderes als isotonische Sportdrinks zu sich nehmen. Zu viel sollte das allerdings nicht sein. „Jetzt trinken wir locker noch ein paar Bier und dann fahren wir das Finale“, kündigt Captain Redlin in einer Rennpause an. „Na, na, na!“, widerspricht sofort ein Teamkollege. Dann schwärmen beide von Südostasien. Einmal mit dem Drachenboot da fahren, wo die Tradition herkommt, das ist ihr großer Traum. Ein Bekannter aus Kambodscha, so erzählt Klötzing, sei bereit, bei der Organisation einer solchen Reise mitzuhelfen. Drachenbootfahren in Kambodscha. Ob es in Südostasien auch Verbandsstreitigkeiten gibt?
ANDREAS RÜTTENAUER