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Archiv-Artikel

Im Kopf des Attentäters

George W. Bush im Fadenkreuz: In seinem neuen Roman „Checkpoint“ schildert der Schriftsteller Nicholson Baker einen Dialog zwischen zwei Männern über die Ermordung des US-Präsidenten

Ein irritierendes „Wir“ unterläuft: „Und Dick Cheney, bringen wir den auch um?“

VON GERRIT BARTELS

Zwei Männer, Jay und Ben, treffen sich in Washington in einem Hotel in der Nähe des Weißen Hauses. Sie kennen sich schon länger, haben sich aber etwas aus den Augen verloren. Nun hat Jay sich wieder mal gemeldet und Ben gebeten, für ihr Treffen ein Aufnahmegerät mitzubringen. Nach kurzem Begrüßungsgeplänkel erklärt Jay, warum er angerufen hat und ihr Gespräch aufzeichnen lassen will: „Ich werde den Präsidenten ermorden.“ Aus nichts anderem als diesem Gespräch besteht nun im folgenden Nicholson Bakers neuer, dieser Tage in den USA und Deutschland erscheinender Roman „Checkpoint“. Dieser sorgte schon Anfang für Juli für Aufsehen, nachdem die Washington Post Auszüge des im Herbstprogramm des Alfred A. Knopf Verlags ohne nähere Erläuterung oder Inhaltsangabe angekündigten Romans druckte. Auch Fragen, ob Baker hiermit eine Straftat provoziere, wurden diskutiert, und Baker musste erläutern, er wende sich mit „Checkpoint“ explizit gegen Gewalt.

Es ist ein Gespräch, in dem der eine, Jay, erklärt, warum er diese Tat begehen muss, da er an einen Punkt gekommen sei, „wo eine andere Form des Handelns notwendig ist“, und der andere, Ben, ihm das auszureden versucht, „irgendwann ist er doch sowieso weg. Entweder er verliert, dann ist er weg vom Fenster, oder er gewinnt, dann ist er eben ein bisschen später weg vom Fenster.“ Ein Gespräch in dem Rede auf Widerrede folgt, Argument auf Gegenargument, oft aber Einigkeit herrscht, und Ben einmal gar ein irritierendes „Wir“ unterläuft, als er fragt: „Und Dick Cheney, bringen wir den auch um?“, Auf Jays erfreuten Hinweis erklärt er schnell, nach Art von Krankenschwestern das „Wir“ gebraucht zu haben und nur Jay gemeint zu haben.

Nun besticht dieser Dialogroman weniger durch seine literarischen Qualitäten, sondern vor allem durch die Tatsache, dass ein renommierter Schriftsteller wie Nicholson Baker sich in einem gewiss schnell geschriebenem Buch – sein jüngster Roman „Eine Schachtel Streichhölzer“ erschien in den USA 2003 und Anfang diesen Jahres bei uns – mit aktueller Tagespolitik auseinander setzt und so in den Präsidentschaftswahlkampf eingreift. Baker kennt man insbesondere als Mythologen des Alltags. Als einen Autor, der gern von den kleinen Dingen des Lebens erzählt, der das große Ganze am liebsten in hunderttausend feine Details auflöst und diese besessen beschreibt und der einst in einem Essay die großen Gedanken ansah als „widerständig“, als „Schattenwesen“ und als „stärker von kleinen Gedanken abhängig, als man meinen könnte“.

Die Politik von George W. Bush muss ihn nachgerade so bedrückt haben, dass er sich nicht nur, wie viele andere US-Künstler im Moment, mit Aufrufen oder Vote-for-change-Aktionen begnügen will, sondern gleich eine Art engagierter Literatur produziert. Es ist der Irakkrieg, der für Bakers Figur Jay das Fass zum Überlaufen brachte: „Was er mit diesem Krieg gemacht hat. Unschuldige ermordet. Und jetzt diese Gefängnisse. Das ist zu viel. Das macht mich so wütend.“ Und dann erzählt Jay die Geschichte einer irakischen Familie, die auf der Flucht war und an einem (dem Buch den Titel gebenden) Checkpoint von US-Soldaten niedergemetzelt wurde.

Es spricht eine große, mitleidige Verzweiflung aus Jays Worten, eine große Hilflosigkeit, die mit dieser einen Tat etwas kleiner werden würde. Als Bakers Eckermann droppt Jay einfache politische Wahrheiten, Verschwörungstheorien, die Verfehlungen der US-Politik und des US-Militärs, deren Kriegsgrausamkeiten; alles Wissen aus denn Medien, das nicht weiß, wohin mit sich: Jay will handeln, Verantwortung übernehmen, das aber radikal und bedingungslos. Ben, sein Gegenüber, fungiert dagegen, bei allem Verständnis für Jay, bei aller Einsicht in die Kaputtheit der amerikanischen Politik, als das moralische, christliche und demokratisch geübte Gewissen. Er schafft es am Ende, Jay zum gemeinsamen Verlassen des Hotelzimmers zu bewegen.

Bakers Dialog, der auch seine skurrilen und alltäglichen Momente hat, ist allerdings da argumentativ schwach, wo Jay als eine sowieso etwas aus dem Gleis geratene Persönlichkeit dargestellt wird: Seine Frau hat ihn verlassen, er ist finanziell knapp, auch Drogen gab es … Kein Wunder also, doch irgendwie ein Desperado, mag man denken. Da hatte sich der deutsche Schriftsteller Tobias O. Meißner vor vier Jahren für seinen Bakers „Checkpoint“ in mancherlei Hinsicht ähnelnden Roman „Todestag“ eine stabilere Figur ausgedacht: Kain Zwaifel heißt diese, die den Mord am Bundeskanzler aber tatsächlich schon begangen hat. Den Ermittlern und Psychologen erzählt er nun in einem langen Verhör: „Ich habe meine Tat allein begangen […] aus freiem Willen und im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte. Aber ich werde nicht der Einzige bleiben, der handelt.“

Letzteres hat sich glücklicherweise nicht bewahrheitet. Doch wer einmal mit dem Gedanken spielt, den US-Präsidenten oder den Bundeskanzler umzubringen, muss nicht gleich psychisch angeknackst sein.

Nicholson Baker: „Checkpoint“. Aus dem Amerikanischen von Eike Schönfeld. Rowohlt Verlag, Reinbek 2004, 140 Seiten, 18,90 €