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Archiv-Artikel

Feucht, aber nicht fröhlich

„Haste mal ’n Dach?“: Der New Yorker Nieselregen offenbart grundlegende Probleme der US Open. Schlechte Organisation und kommerzielle Zwänge führen zu unfairen Bedingungen für Tennisprofis

aus New York DORIS HENKEL

Irgendwann während eines Regenschauers lief dem Direktor für Profitennis beim US-Tennisverband Usta, Arlen Kantarian, der Turnierdirektor der Australian Open, über den Weg. „Na, hast du dein Dach dabei“, fragte der Amerikaner den Australier Paul McNamee. Ein gewisser Neid war nicht zu überhören. Zu diesem Zeitpunkt war längst klar, dass Kantarian in der Bredouille steckt. Als die Spiele bei den US Open Dienstagabend um halb elf wegen der letzten und heftigsten Schauer des zweiten Regentages in Folge abgebrochen wurden, stand ein einziger von acht Viertelfinalisten bei den Männern fest – Andre Agassi.

Der hatte von der Aufgabe seines jungen Landsmannes Taylor Dent beim Stand von 6:7, 6:4, 7:5 profitiert, denn für einen vierten Satz hätte die Trockenphase ebenso wenig gereicht wie für die anderen Spiele, unter anderem auch die Fortsetzung der vierten Runde der Frauen. Und da die Wetterprognose weitere Niederschläge versprach, mochte sich zu diesem Zeitpunkt keiner der Verantwortlichen dafür verbürgen, dass die US Open 2003 tatsächlich am nächsten Sonntag beendet sein werden.

Zugegeben, gegen Regen ist der Mensch machtlos – fragt sich nur, wie er darauf vorbereitet ist. Der Neid auf die Australier ist berechtigt. Die haben im Melbourne Park nicht nur seit 15 Jahren einen Centre Court mit einem beweglichen Dach, sondern seit 2001 sogar eine zweite Arena mit der gleichen Konstruktion. Diese hat 65,5 Millionen australische Dollar gekostet (ca. 40 Millionen Euro) und damit nicht mal ein Fünftel dessen, was die Usta in den Bau des vor fünf Jahren eingeweihten Arthur-Ashe-Stadions investiert hat. Die überdimensionierte Arena fasst zwar 23.000 Zuschauer, aber an ein Dach hat keiner gedacht. Und das sei auch kein Fehler gewesen, erklärt Kantarian, denn normalerweise sei der New Yorker Sommer stabil. In den letzten zwölf Jahren habe man nur zweimal ein komplettes Tagesprogramm absagen müssen, in diesem Jahr und 2002.

Nun finden die beliebten Diskussionen ums Dach auch in Wimbledon regelmäßig statt, wo die Herren des All England Clubs aber auch in schlimmen Regenjahren zu ihrer Entscheidung stehen, die Optik des weltberühmten Centre Courts nicht zu verändern. Aber die Engländer sind Profis, wenn es um die Problemlösung bei schlechtem Wetter geht. Selbst 1997, als Runde eins nach einer Folge elend feuchter Tage erst am Samstag der ersten Woche beendet war, wurden am letzten Tag wie geplant alle Champions präsentiert.

In New York dagegen standen diesmal selbst am Mittwoch vor den Einzeln noch diverse Doppel auf dem Spielplan, und die Ansetzung von Rainer Schüttlers Partie gegen Sjeng Schalken nach zwei Doppelpartien war schlicht skandalös. So wird Schüttler auch in diesem Jahr garantiert kein Freund der US Open.

Die Usta aber verweist stolz auf ihre Rekorde bei Zuschauerzahlen, Preisgeld und Größe des Arther-Ashe-Stadiums. Allerdings ist das letzte der vier Grand-Slam-Turniere das mit Abstand am schlechtesten organisierte und unterliegt Zwängen, die den Wettbewerb verzerren. Die Erkenntnis ist nicht neu, aber selten ist sie so klar geworden wie in dieser Woche. Es gibt nach wie vor keine Planen für die Plätze, und nach dem Regen rutschen dienstbare Geister der Industrienation Nummer eins, mit Handtüchern bewaffnet wie Putzfrauen in der Sechzigerjahren, auf Knien über die Plätze. Danach kommen fahrbare Trockner zum Einsatz, wo auch schon mal was schief geht: Neulich verlor einer der Trockner Öl.

Aber die gröbsten Fehler liegen im System. Bei keinem der anderen drei Grand-Slam-Turniere leistet man sich den Luxus, die erste Runde auf drei Tage auszudehnen. Was sich diesmal rächt, denn in der ersten Woche war das Wetter gut, und die verlorene Zeit machte sich im Regen doppelt bemerkbar. Und bei keinem anderen Grand-Slam-Turnier findet das Männer-Halbfinale am Samstag zusammen mit dem Frauen-Endspiel statt, einen Tag vor dem Finale am Sonntag. Schuld ist einer der beiden übertragenden Fernsehsender (CBS), der mit dem so genannten „Super Saturday“ Quote und Kasse machen will.

Seit mehr als 20 Jahren ist das nun bereits so, und fast ebenso lange beschweren sich die Spieler, aber diesmal wird die Geschichte durch die im Regen verlorene Zeit zusätzlich erschwert. Außer Agassi wird jeder Finalist, so keine weiteren Verzögerungen auftreten und das letzte Spiel tatsächlich am Sonntag stattfinden kann, die Belastung von vier Begegnungen in fünf Tagen in den Knochen haben. Nicht dass man das nicht aushalten kann als gut trainierter Profiathlet, aber fair ist das nicht.