: Späte Chance, die Militärs vor Gericht zu bringen
Uruguays Parlament erklärt Amnestiegesetz von 1986 für verfassungswidrig – ein erster Schritt zu dessen Abschaffung
BUENOS AIRES taz ■ Uruguay ist der juristischen Aufarbeitung seiner Vergangenheit einen großen Schritt näher gekommen. Am Mittwoch erklärte die Generalversammlung des Kongresses das seit 1986 geltende Amnestiegesetz für die Menschenrechtsverbrechen der letzten Militärdiktatur (1973–1985) für verfassungswidrig.
Konkreter Anlass war der Fall der Kommunistin Nibia Salbasagaray, die im Juni 1974 in einem Gefangenenlager der Militärs gefoltert und getötet worden war. Staatsanwältin Mirtha Guianze hatte im Oktober vergangenen Jahres beantragt, in diesem Falle die verantwortlichen Militärs von der Straffreiheitsgarantie auszunehmen und das Amnestiegesetz für verfassungswidrig zu erklären.
Vor einer Woche stimmte die Regierung dem Begehren zu und brachte damit den Obersten Gerichtshof in Zugzwang. Der bat daraufhin den Kongress um eine Entscheidung, und die Delegierten der beiden Kammern stimmten mit den 69 Stimmen der linken Regierungspartei Frente Amplio für die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes. Zwei Abgeordnete stimmten dagegen, die übrigen 59 Oppositionsabgeordneten hatten vor der Abstimmung den Saal verlassen oder waren gar nicht erst erschienen.
Das „Gesetz über die Hinfälligkeit des Strafanspruchs des Staates“ war im Dezember 1986 unter Präsident Julio María Sanguinetti (1985–1990) vom Parlament beschlossen worden. Seither sichert es allen Polizei- und Militärangehörigen Straffreiheit für während der Diktatur begangene Menschenrechtsverletzungen zu. 1989 war das Gesetz in einem Referendum von 57 Prozent der stimmberechtigten Bevölkerung bestätigt worden.
Erst mit der Amtsübernahme der linken Regierung unter Präsident Tabaré Vázquez im Jahr 2005 begannen ernsthafte Versuche, die Verbrechen der Diktatur juristisch aufzuarbeiten. Seither werden die Lücken im Gesetz genutzt, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen zu können. In 47 Fällen ist dies bisher gelungen. Im September 2006 wurden erstmals sechs Militärs und zwei Polizisten zu Haftstrafen verurteilt.
Die Entscheidung des Kongresses bezieht sich ausschließlich auf den Fall der ermordeten Nibia Sabalsagaray. Der Oberste Gerichtshof hat jetzt 110 Tage Zeit, um selbst zu entscheiden. Sollte das Gericht ebenfalls die Verfassungswidrigkeit in dem konkreten Fall feststellen, wäre ein Präzedenzfall geschaffen, der weitere Verfahren möglich machen würde. JÜRGEN VOGT