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Archiv-Artikel

Das geht auf die Lippen

Das Oldenburger oh ton-Ensemble spielt ausschließlich aktuelle Musik und versteht sich damit als Würze im Konzertbetrieb. Nach zehn Jahren im Geschäft heißt es derzeit: „Wir müssen dringend eine Lobby kreieren, sonst werden wir abgewickelt“

„Die Kunst ist nicht besser geworden, wenn statt 30 plötzlich 36 Leute zuhören“

von Christoph Kutzer

Aktuelle Musik hat’s bei Veranstaltern schwer, und das ist schon länger so. Bereits der Venezianer Ermanno Wolf-Ferrari witzelte: „Wenn es so weitergeht, muss man überlegen, ob Komponisten nicht lieber tot auf die Welt kommen sollten.“ Wolf Ferrari starb 1948, und 2004 sagt Eckart Beinke, der Gründer des Oldenburger Vereins zur Förderung aktueller Musik: „Im Wesentlichen lässt sich das Repertoire der meisten Orchester auf 40 bis 50 Stücke reduzieren – und nach der Saison geht es wieder von vorne los. Ich will aber doch auch nicht dauernd Grünkohl essen. Der wird schließlich dadurch schmackhafter, dass man zwischendurch auch mal etwas anderes probiert. Vielleicht sogar etwas gewagt Gewürztes.“

Hervorgegangenen ist aus Beinkes Verein 1994 das Oldenburger oh ton-Ensemble, das sich ausschließlich Werken widmet, die in den letzten 20 Jahren entstanden sind. Wie zum Beispiel Robert Platz‘ „Flötenstücke“, bei denen es den Vorteil gibt, dass der Komponist die Proben persönlich leiten kann.

Problematisch ist allerdings nach wie vor der fehlende Mumm der Veranstalter. Beinke, 1956 in Oldenburg geboren, kennt das Problem sowohl als Vereinsvorsitzender, als künstlerischer Leiter des oh ton-Ensembles und als freischaffender Künstler, dessen Stücke ebenfalls nicht auf den Notenpulten populärer Interpreten landen. Warum? Die menschliche Unlust auf Unbekanntes, vermutet der Ensembleleiter. Allerdings werde auch herzlich wenig unternommen, um die Hörer an aktuelle Musik heranzuführen: „Das Publikum wird von den Programmmachern für dümmer gehalten, als es ist und den Musikern wird von ihren Dozenten oft genug geradezu verboten, Gegenwartsmusik zu spielen. Das verderbe den Stil, heißt es dann. Dabei ist es doch so, dass man in der alten Musik ganz andere Dinge erkennt, wenn man sie aus der Neuen Musik heraus betrachtet.“

Wie anspruchsvoll sich die Arbeit an einem zeitgenössischen Werk gestalten kann, zeigt die Probenarbeit an Platz‘ „Flötenstücken“ für Kammerensemble. Takt für Takt nimmt der Komponist sein Stück auseinander. Immer wieder unterbricht er an Stellen, an denen der Ersthörer im klanglichen Wirbel nicht den Ansatz eines Fehlers vermutet hätte. „Hast du da in der Basslinie einen anderen Griff genommen? Der erste Ton hatte einen anderen Oberton und dadurch wird das harmonisch unklar.“ Aha. Da dämmert einem, was Eckart Beinke meint, wenn er betont, man brauche für aktuelle Musik „ein sehr hohes handwerkliches Niveau.“

Um die Fähigkeiten seiner Musiker braucht sich der künstlerische Leiter jedenfalls nicht zu sorgen. Proben sind nur blockweise möglich, weil viele Ensemblemitglieder als Instrumentalisten in Hamburg, Hannover, Köln oder im Ruhrgebiet tätig sind. Gastdirigent Robert Platz: „Von einer bestimmten Qualitätsstufe an sind die Leute einfach gefragt und werden weitergereicht“. Einige allerdings begehen auch Fahnenflucht: Ein begnadeter Trompeter, der mit Platz zusammengearbeitet hatte, wanderte später ins Orchester von Howard Carpendale ab. Grund: weniger Üben und exponential mehr Geld.

Am Geld hapert es in der Nische „Neue Musik“ natürlich erheblich – zumal in Zeiten leerer öffentlicher Kassen. „Wir müssen dringend eine Lobby kreieren, sonst werden wir abgewickelt“, warnt Beinke. Stadt und Land schraubten ihre Förderung zurück, alles Geld fließe nach Hannover und der deutsche Musikrat verteile seine Mittel neuerdings nach Besucherzahlen. „Dabei ist die Kunst doch nicht besser geworden, wenn statt 30 plötzlich 36 Leute zuhören.“

Bei oh-ton begegnet man dem Problem offensiv: Öffentliche Proben und Kooperationen mit Schulen sollen Berührungsängste abbauen, ein „Netzwerk-Nord“ soll den Austausch mit Veranstaltern und anderen Ensembles erleichtern und intensivieren.

Vielleicht gelingt es ja sogar bald, den längst überfälligen eigenen Proberaum zu finden? In der temporären Bleibe, der Musikschule, gibt Robert Platz das Signal zum letzten Durchlauf. Am Vorabend haben die Bläser bis 20 Uhr geprobt. Das geht auf die Lippen. Nun gilt es mit der Energie der Musiker hauszuhalten. Denen sind keine Ermüdungserscheinungen anzumerken und man beginnt zu ahnen, wie das oh ton-Ensemble trotz aller Schwierigkeiten ein ganzes Jahrzehnt überstehen konnte – dank des Enthusiasmus, den alle Mitglieder mitbringen. Eckart Beinke: „Einfach nur runterspielen geht hier nicht. Wer aktuelle Musik spielt, muss immer auch ästhetisch werten und einordnen.“

Kontakt: www.ohton.de