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Archiv-Artikel

Alarmstufe gelb in Moorburg

Weil der Hafen boomt, drängt die Wirtschaft auf eine weitere, angeblich unbedenkliche Elbvertiefung. Die Moorburger versuchen vorsorglich klarzustellen, dass ein höherer Containerumschlag auch ohne Flächenwachstum möglich ist

Von Gernot Knödler

Handelskammer und Hafenwirtschaft haben Angst, den Anschluss an das Wachstum der Volkswirtschaften Chinas und Osteuropas zu verlieren. Den von Rekord zu Rekord eilenden Containerumschlag glaubt der Hafen durch den Ausbau seiner Kapazitäten ohne weiteres wuppen zu können, wäre da nicht das Nadelöhr Elbe, durch das immer größere Pötte passen müssen. Den Bewohnern von Moorburg – seit 1982 Hafenerweiterungsgebiet – macht die Werbeoffensive des Hafens Sorgen. Sie erwarten zwar nicht, dass ihr Dorf in nächster Zeit für Containerabstellplätze planiert wird; sie befürchten jedoch ein langsames Sterben, sollte die Wirtschaftsbehörde den Bau zusätzlicher Wohnungen blockieren.

145.000 Arbeitsplätze seien direkt oder mittelbar vom Hafen abhängig, sagt Reinhard Wolf von der Handelskammer. Als „Logistikdrehscheibe für ganz Nordeuropa“ könnte der Hafen kräftig weiterwachsen. Osteuropa habe großen Nachholbedarf im Konsum. Seit Ende der 80er Jahre wachse das Transportvolumen doppelt so stark und der Containerverkehr dreimal so stark wie die Weltwirtschaft. „Die Wirtschaftskraft und Dynamik des Hafens bleiben uns erhalten, sofern seine Erreichbarkeit gegeben ist“, prophezeit Wolf.

Moderne Containerschiffe seien sehr teuer, argumentiert Hartmut Lühr von der Reederei Hapag Lloyd. Sie darauf warten zu lassen, dass sie mit der Flut aus dem Hafen schwimmen können, sei nicht hinnehmbar. Die Konkurrentin Rotterdam könne Schiffe mit bis zu 16,60 Metern Tiefgang abfertigen, Hamburg in einem Tidefenster von zwei Stunden Schiffe mit maximal 13,50 Metern (in Salzwasser). Dabei lasse seine Reederei gerade Schiffe für bis zu 8.700 Standardcontainer (TEU) und 14,50 Metern Tiefgang bauen.

Lühr versichert, dass eine Vertiefung für 14,50-Meter-Schiffe auch für künftige Schiffe mit bis zu 10.000 TEU ausreichen würde. Schließlich gäben die Werften den Maximaltiefgang an, während der optimale Tiefgang und erst recht der tatsächliche Tiefgang einen halben bis 1,50 Meter geringer seien. Hamburg komme überdies die unterschiedliche Struktur ein- und auslaufender Ladung zugute: Die auslaufenden Erzeugnisse des Maschinenbaus brauchen und kriegen mehr Wasser unterm Kiel als die einlaufenden Plastik-und Elektronikartikel aus Fernost.

Das Ergebnis der Elbvertiefung von 1999 stimmt Jörg Osterwald, Projektgruppenleiter der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV), optimistisch. Der Containerumschlag wuchs seither um fast 64 Prozent, wobei offen ist, was davon der Vertiefung zuzuschreiben ist. Die Vertiefung habe sich mit einem Nutzen-Kosten-Faktor von sechs sehr gelohnt. Die geplante Vertiefung veranschlagt er mit dem Faktor zwölf. Sollte der Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven kommen, läge er immer noch bei 4,6. Das Projekt würde höchstens 320 Millionen Euro kosten, 80 Millionen davon müsste Hamburg übernehmen.

Osterwald bescheinigte dem Projekt nach der Voruntersuchung ein „mittleres Umweltrisiko“: Der Schaden könnte kompensiert werden. Auch die Hochwassergefahr werde nicht steigen. Aufgrund der Erfahrungen mit bisherigen Vertiefungen, will die WSV an der Elbmündung in bis zu acht Metern Tiefe Unterwasserhügel anlegen, die der einschwingenden Flut die Kraft nehmen sollen.

Die Vertiefung vorausgesetzt, lasse sich das vermutete Umschlagswachstum mit den vorhandenen Ausbaumöglichkeiten des Hafens gut auffangen, findet Stefan Behn vom Vorstand der Hamburger Hafen- und Lagerhaus Aktiengesellschaft (HHLA). „Wir können sehr schnell eine Kapazität von 15 Millionen TEU aufbauen ohne große Planfeststellungsverfahren“, sagt Behn. Heute sind es knapp sieben Millionen.

Der runde Tisch Moorburg befürchtet, dass die Wirtschaftsbehörde wegen des Hafenbooms keinen Wohnungsneubau im Ort zulassen wird – auch nicht als Ersatz für verloren gegangene Wohnungen. 1982 habe Moorburg noch 1.150 Einwohner gehabt, heute seien es noch 780, sagt Harald Fellechner von der Bürgerinitiative. Durch Abriss sowie das Sanieren und Zusammenlegen von Wohnungen seien die Möglichkeiten, in Moorburg zu wohnen, verringert worden. Bei Unterschreiten einer Mindestzahl drohe die Infrastruktur zusammenzubrechen. Die Schule konnte kürzlich mit Müh und Not gerettet werden.

Dabei, so argumentiert die Initiative, sei der Hafen gar nicht auf die Fläche Moorburgs angewiesen, wenn er wachsen wolle. Längst hätten sich Umschlags- und Flächenwachstum entkoppelt. Der Terminal Altenwerder habe die dreifache Kapazität des Burchardkais – auf kleinerer Fläche. Tatsächlich plant das Amt für Strom- und Hafenbau, im großen Stil Hafenbecken zuzuschütten und vorhandenen Flächen effizienter zu nutzen. Die HHLA stellte jüngst Ausbaupläne vor, nach denen sie die Kapazität ihrer vorhandenen Terminals bis 2012 mehr als verdoppeln will. „Da braucht man gar nicht nach außen zu gehen“, sagt Rainer Böhrnsen vom runden Tisch.

Ein Tiefwasserhafen Wilhelmshaven würde der Ini zufolge eine Hafenerweiterung in Moorburg vollends entbehrlich machen. Wollte die Wirtschaftsbehörde trotzdem bauen, genüge ein Kai mit einer schmalen Zone dahinter. „Eine derartige Planung hätte keineswegs zwingend den Abriss des Ortes zur Folge“, findet der runde Tisch.