: Keine großen Worte
Im Alter von 90 Jahren verstarb vor kurzem Elisabeth Leithäuser, eine Universalerscheinung mit starken Überzeugungen. Eine, die überall zu Hause war: im Feminismus, Buddhismus, Journalismus, in der Friedensbewegung und in der lesbischen Welt
VON WALTRAUD SCHWAB
Elisabeth Leithäuser war Journalistin und Leiterin eines Rehabilitationszentrums, sie war Feministin und Buddhistin, sie liebte Frauen und das Leben. Die letzten Jahre verbrachte sie als Flaneurin. Sie wollte sehen, wie es den Menschen in Berlin geht. Daran machte sie den Zustand der Gesellschaft fest. Vor kurzem, Ende Juli, starb sie 90-jährig
Gut bedient worden vom Schicksal sei sie, habe Elisabeth Leithäuser oft gesagt. Und: „Ich kann wirklich sagen, ich habe gelebt.“ Eine Freundin wiederholt diese Sätze immer wieder, als fassten sie das Wesen der Journalistin zusammen.
Elisabeth Leithäuser gehört zu jener Generation von Frauen in Deutschland, die in einer Zeit jung sind und den weiblichen Aufbruch proben, in der es nichts zu gewinnen gibt. Denn 1933, als sie 18 Jahre alt ist, kommen die Nazis an die Macht. Als Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes in Kassel verteilt sie noch im gleichen Jahr Flugblätter gegen die Nationalsozialisten und fliegt damit sehr schnell auf. Nur durch den Meineid, den ein Gestapo-Kommissar im Hochverrats-Prozess 1934 zugunsten ihrer Gruppe leistet, kommen sie und die anderen Jugendlichen glimpflich davon. Leithäuser ist in der Nazizeit von da an gebrandmarkt. An eine Karriere war unter dem Nationalsozialismus nicht zu denken, Elisabeth Leithäuser schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch. Bis zum Kriegsende am 8. Mai 1945 – „dem glücklichsten Tag in meinem Leben“, wie sie sagt.
Im Jahr ihres Prozesses verliebt sie sich, trotz ihrer Beziehung zu einem Mann, in eine Frau. Elga heißt sie. Die Dreiecksgeschichte zieht sich hin. Erst nach der Geburt ihrer Tochter, die sie im Heim lässt, trennt sie sich von Anton und geht 1938 mit Elga nach Berlin. Obwohl sie vorsichtig sind, leben sie doch nicht so diskret, dass ihre Liebesbeziehung der Gestapo nicht bekannt wäre. Dass ihr daraus keine größeren Schwierigkeiten erwachsen, grenzt im Nachhinein an ein Wunder. Kompromisse ist sie deswegen nicht eingegangen. Dass sie allerdings zu viel Angst hatte, um sich später einer weiteren Widerstandsgruppe anzuschließen, obwohl sie die Möglichkeit gehabt hätte, das habe sie sich nie verziehen.
Leithäuser kann zugeben, dass sie in ihrem langen Leben nicht alles perfekt gemacht hat. Ihre Muttergefühle waren, so sagt sie selbst, nicht sonderlich ausgeprägt, und ihre Frauen- und Männergeschichten haben mitunter Wunden bei den anderen geschlagen. Sie habe sich alles genommen und sei nicht immer fair gewesen, soll sie hin und wieder gesagt haben, berichtet ihre Freundin.
Nach dem Krieg geht Leithäuser zum Radio, wird zuerst Redakteurin beim Berliner Rundfunk, später beim RIAS und arbeitet für verschiedenen Zeitungen, darunter der Telegraph und macht Karriere als Abteilungsleiterin. Es habe damals nur wenige begabte und unbelastete junge Leute gegeben, sagt sie einmal selbstbewusst in einem taz-Interview. In den 50er-Jahren hat sie auch ein paar Sendungen im neu entstehenden Deutschen Fernsehen, sie wirkt als Autorin und ist zuständig für Frauenthemen. Sie soll darunter vor allem Emanzipationsthemen verstanden haben, wird berichtet. Außerdem liebte sie es, wenn die Texte kurz und knackig waren. „Halten Sie den Nachruf im Sinne von Elisabeth knapp“, rät deshalb die Freundin.
Anfang der 70er-Jahre wechselt Leithäuser, nach einer Zeit als Krankenpflegerin, noch einmal den Beruf und leitet ein Rehabilitationszentrum für psychisch Kranke im Grunewald. Der aufkommenden Frauenbewegung schließt sie sich ebenfalls an und gründet die Gruppe „Offensives Altern“ mit. Soll heißen: Auch ältere Frauen sind wichtig in der Gesellschaft. Dass sie lesbisch ist, dass sie sich Feministin nennt und dass sie sich zum Buddhismus hingezogen fühlt und taz-Genossin ist – das geht für Leithäuser alles zusammen. Auf andere habe sie allerdings eigensinnig gewirkt, mitunter auch kratzbürstig, meint die Freundin. Zweimal war Leithäuser verheiratet, aber Fragen danach bügelte sie gern ab: Das sei doch uninteressant, sagte sie dann. Dennoch hingen Fotos zweier Mädchen in ihrer Ein-Zimmer-Wohnung, die Bilder der Enkelin und der Urenkelin. Seit mehr als 40 Jahren wohnt sie hier. Im Zimmer dominiert eine Glockensammlung, auf dem Sofa steht ein buddhistischer Reisealtar, darüber das Foto eines Zen-Lehrers.
Die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens wird Leithäuser zur Berliner Flaneurin. Nach Kreuzberg, nach Neukölln, an die Orte, wo die Menschen wohnen, denen es nicht so gut geht, fährt sie gern. Sie möchte das Elend der Leute verstehen, denn am Umgang mit den sozial Schwachen zeige sich, was eine Gesellschaft tauge. Die Einsichten, die sie bei ihren Touren gewinnt, fasst Leithäuser ihrer Freundin gegenüber immer wieder mit einem Satz zusammen: „Das ist der Scheißkapitalismus, sag ich dir.“
Trauerfeier und Beisetzung heute um 13 Uhr, Friedhof Ruhleben