piwik no script img

Archiv-Artikel

Staat zwingt Musliminnen zur Perücke

Muslimische Lehrerinnen setzen sich improvisierte Kopfbedeckungen auf, um in den Bundesländern mit Kopftuchverbot trotzdem unterrichten zu können. Einige Frauen gehen auch ins Ausland. Human Rights Watch hat 30 Lehrerinnen interviewt

BAND STATT TUCH?

Rabia Karaoglan, Sonderschullehrerin aus Nordrhein-Westfalen, verzichtet widerwillig auf das Kopftuch und trägt ein breites Haarband. Human Rights Watch sagte sie: „Ich habe mein Gewissen befragt, habe mich mit meinem Mann beraten […] und habe entschieden, das Kopftuch abzunehmen. Ich trage das Haarband eher aus Trotz, um irgendetwas zu haben. […] Ich habe mir auch Perücken, die recht teuer sind, zeigen lassen. ‚Wie echt‘ hat die Verkäuferin am Ende gesagt, und ich habe gedacht, dann kann ich gleich meine eigenen Haare zeigen.“

VON WOLF SCHMIDT

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch fordert, die in der Hälfte aller Bundesländer geltenden Kopftuchverbote in Schulen wieder aufzuheben. Die Gesetzte benachteiligten muslimische Frauen und verstießen gegen die Menschenrechte, heißt es in der am Donnerstag veröffentlichten Untersuchung „Diskriminierung im Namen der Neutralität“. „Sie zwingen Kopftuch tragende Frauen, sich entweder für ihren Beruf oder für ihren Glauben zu entscheiden“, sagte die Autorin der Untersuchung, Haleh Chahrokh.

Chahrokh interviewte für die Studie mehr als 30 von den Kopftuchverboten direkt betroffene muslimische Lehrerinnen. Einige der Frauen zogen wegen des Verbots in ein anderes Bundesland, wo sie weiter mit Kopftuch vor die Klasse treten dürfen. Andere gingen ins Ausland, etwa nach Österreich – obwohl sie seit ihrer Geburt in Deutschland gelebt hatten. Andere muslimische Lehrerinnen gaben den Beruf ganz auf, und das nach jahrelanger Ausbildung. „Die Verbote sind kein abstraktes Problem“, heißt es in dem Bericht. „Sie haben eine einschneidende Wirkung auf das Leben der betroffenen Frauen.“

Diejenigen Frauen, die sich dafür entscheiden, das Kopftuch im Klassenzimmer abzunehmen, geraten laut dem Bericht oft in Gewissenskonflikte und tragen als Ausweichlösung manchmal sogar Perücken, was im Gegensatz zu anderen alternativen Bedeckungen wie Baskenmützen von den Behörden bisher offenbar toleriert wird. „Ich fühle mich aber überhaupt nicht wohl damit“, berichtet eine Lehrerin aus Süddeutschland.

In den vergangenen fünf Jahren wurden in acht von 16 Bundesländern Gesetze eingeführt, die LehrerInnen an öffentlichen Schulen verbieten, religiöse Symbole und Kleidung zu tragen. In Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland gelten Ausnahmen für christliche Symbole und Kleidung. Human Rights Watch fordert alle Länder auf, die Gesetze wieder aufzuheben. In der Zwischenzeit sollten die Behörden wohlwollend mit alternativen Kopfbedeckungen wie Hüten umgehen.

FLUCHT VOR VERBOT?

Eine muslimische Grundschullehrerin aus Nordrhein-Westfalen, die derzeit noch in Elternzeit ist, überlegt, ob sie das Bundesland wechseln soll, um das Kopftuchverbot zu umgehen. Human Rights Watch sagte sie:

„Ich denke daran, nach Rheinland-Pfalz zu gehen … Aber der Vater meiner Kinder (von dem sie geschieden ist) lebt hier … Aber wenn das Gesetz auch in Rheinland-Pfalz kommen sollte, dann stehe ich wieder am Anfang … Meine ganze Familie ist hier, deshalb wäre es schwer für mich, zu gehen.“

Den Empfehlungen folgte Heiner Bielefeldt, Chef des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Gleichwohl räumte er ein, dass das Thema ein „menschenrechtlich kompliziertes“ sei. Er halte es auch für denkbar, dass in Einzelfällen Lehrerinnen nahegelegt wird, auf das Kopftuch zu verzichten. „Aber im Vorfeld eines Konflikts mit Verboten zu agieren, ist unverhältnismäßig.“

Auch die Vertreter von Human Rights Watch wissen um die Bedenken, die das Kopftuch bei einigen Eltern und Schülern auslöst. Doch bei Bedenken, dass eine Lehrerin sich nicht an das Gebot der religiösen Neutralität halte, reichten gewöhnliche Disziplinarmaßnahmen aus. „Lehrer sollten auf Grundlage ihres Verhaltens beurteilt werden, nicht nach ihrer Kleidung“, heißt es in dem Bericht.