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Archiv-Artikel

Ein Ehevertrag mit Deutschland

VON MAREKE ADEN

Nehmen wir zur Illustration den Einwanderer Herrn Abramowitz. Er sei jüdisch, komme aus Sankt Petersburg und habe sich entschieden, statt dort lieber in Deutschland als Ingenieur zu arbeiten. Nun ist die Frage: Was passiert, wenn Herr Abramowitz nach Deutschland kommt? Die Frage hat Relevanz. Denn wie Herr Abramowitz können – und sollen – bald viele Menschen einwandern: Nämlich alle, die über das neue Zuwanderungsgesetz nach Deutschland kommen.

Das Dilemma ist, dass die erwünschten hochqualifizierten Immigranten sich von zu viel Bürokratie vielleicht abschrecken lassen – genau wie von populistischen Forderungen, nach der Einwanderer bitte schön binnen einem Jahr Deutsch zu lernen haben, ansonsten wieder „rausfliegen“. Dagegen stehen Vorbehalte, dass man vielleicht zu viel Geld für die Neuankömmlinge für Sprachkurse, Beratung und Sozialhilfe ausgibt, wenn man sie nicht auch in die Pflicht nimmt.

Ein Modell, das diese Bedenken berücksichtigen soll, ohne dass zu großer Druck ausgeübt wird, arbeitet mit Verträgen. Seit drei Jahren wird es in neun ausgesuchten Orten ausprobiert – mit jüdischen Einwanderern wie unserem als Beispiel ausgedachten Herrn Abramowitz und Russlanddeutschen. Gestern stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) eine Bilanz der Testphase vor.

Konkret geht es so: Eine Kommune schließt mit einem Einwanderer einen Vertrag. Darin verpflichtet sie sich, mit ihm einen Eingliederungsplan zu entwerfen und ihn zu unterstützen. Im Fall Abramowitz würde sich ein Sozialarbeiter, ein so genannter Integrationslotse, mit ihm zusammensetzen. Die beiden würden gemeinsam herausfinden, wie Herr Abramowitz schnellstmöglich Arbeit finden kann, und einen Eingliederungsplan entwerfen. In dem Plan stünde dann, dass er erst mal fließend Deutsch lernen, dass er sein russisches Studium anerkennen lassen oder auch noch mal studieren muss. Vielleicht wird der Integrationslotse ihm auch sagen, dass er als Ingenieur keinen Job finden wird und sich lieber umschulen lassen soll. Herr Abramowitz würde unterschreiben, dass er alle Kurse und Maßnahmen auch bereitwillig mitmacht.

Das Beispiel Korbach

In der nord-hessischen Testgemeinde Korbach hat die Integrationslotsin Anna Schwarz 115 Vereinbarungen mit Russlanddeutschen getroffen. Sie hat einen Plan für jeden einzelnen Teilnehmer erstellt. Dann hat sie Jugendliche in Praktika vermittelt und Erwachsenen bei Bewerbungen geholfen. Sie hat mit den Firmen in Korbach verhandelt, den Neuankömmlingen eine Chance zu geben. Sie trommelte auch Einwanderer und Einheimische zum Kuchenbacken zusammen, denn auch die „soziale Integration“ gehört zum Konzept.

Anna Schwarz selbst ist bescheiden und sagt, dass sich ihre Arbeit vor und nach dem Versuch mit den Verträgen gar nicht groß verändert hat. Sie hat schon vorher Russlanddeutsche beraten und ihnen Sprachkurse vermittelt. Aber die Korbacher merken trotzdem einen Unterschied. Nach der großen Einwanderungswelle Mitte der 90er-Jahre hatte die kleine Stadt große Probleme. Auf dem Korbacher Altstadtkulturfest kam es vor einigen Jahren zu einem Streit zwischen einem deutschen und einem zugewanderten jungen Mann, woraufhin letzterer sein Leben ließ. Konflikte dieser Art haben die Korbacher seit einiger Zeit nicht mehr erlebt. So zufrieden wie die Korbacher sind auch viele Politiker. Der Bundesbeauftragte für Aussiedler, Jochen Welt, hat handfeste Argumente für das Modell: Einwanderer, die den Vertrag unterschreiben, seien hinterher weniger häufig von Sozialhilfe abhängig, pries er den Versuch vor der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Das Beispiel Sulzbach

Das konnte er mit einiger Sicherheit behaupten, weil die „Gesellschaft für Innovationsforschung und Beratung mbH“ den Versuch wissenschaftlich begleitet und die Fortschritte ausgewertet hat. Sie verglich dazu Teilnehmer mit anderen Immigranten, fand heraus, dass die Gemeinden die Gesamtkosten für die Beratungen im Schnitt schon nach 17,6 Monaten herausholen, weil die Test-Einwanderer viel eher einen Job finden. Gegenüber den Immigranten ohne Vertrag bezogen sie im Durchschnitt 14,2 Prozent weniger Sozialhilfe.

„Im Durchschnitt“ heißt hier aber auch, dass es Unterschiede von Testgemeinde zu Testgemeinde gab. Denn der Teufel steckt in der Umsetzung. Mit dem Eingliederungsvertrag kann eine Kommune die Einwanderer sanft in die neue Gesellschaft schubsen oder sie mit Druck in den engen Arbeitsmarkt quetschen. Die Unterschiede sind gewollt, weil die Innovationsforscher von der Beratungsgesellschaft verschiedene Vertragsvarianten vergleichen wollten. In kleineren Städten haben die Lotsen auf intensive Betreuung gesetzt, in Recklinghausen durften besonders engagierte Teilnehmer mit ihren Familien auf Stadtkosten in den Freizeitpark, in anderen wurden Schwänzer schneller bestraft als in anderen. „Es gibt die menschenfreundliche und die repressive Variante“, fasst Stephan Buchkremer die Möglichkeiten zusammen. Er ist Integrationslotse in der bayerischen Testgemeinde Sulzbach-Rosenberg.

„Bei uns war der Vertrag wie eine Ehevereinbarung“, erklärt er, „man braucht ihn eigentlich nicht, außer es geht was schief.“ Wenn jemand sich nicht so fleißig bewirbt, wie er das in der Beratung angekündigt hat, dann könne man schon mal auf den Vertrag hinweisen. Das reiche. Denn wenn jemand etwas unterschrieben habe, dann sei er sowieso engagierter. In Sulzbach-Rosenberg seien Kündigungen des Integrationsvertrags nicht notwendig gewesen, nur angedroht hat Buchkremer die Vertragsauflösung in „drei oder vier Fällen“.

Das Beispiel Dortmund

Anders in Dortmund. In der darbenden Industriestadt hat die Einwanderung „erhebliche finanzielle Dimensionen“. Deswegen hat die Stadt mitgemacht und die Spar-Variante praktiziert. Bei 4 der 915 Teilnehmern wurde die Sozialhilfe eingestellt, weil sie sich nicht ausreichend Mühe gaben Arbeit zu finden, heißt es. In 20 Fällen drohte Eva Karol, die Dortmunder Koordinatorin, Kürzungen an. Das Ergebnis war, dass 232 Teilnehmer aus der Sozialhilfe in Umschulungen, ABM-Stellen oder an die Uni geholt wurden, 42 fanden sogar einen Job.

Das klingt nicht nach viel, allerdings summiert sich die eingesparte Sozialhilfe merkbar, selbst wenn man bedenkt, dass die meisten der 42 auch ohne Beratung eine Arbeit gefunden hätten. Zumindest, argumentieren die Verfechter des Modells, könne niemand populistisch behaupten, dass Integrationsmaßnahmen für Ausländer herausgeschmissenes Geld seien. Im Gegenteil, die Städte, die versucht hatten, möglichst wenig Geld für die Beratungen auszugeben – wie Dortmund – machen unterm Strich eher ein schlechteres Geschäft.

Stephan Buchkremer meint, dass man mit der menschenfreundlichen Ausprägung des Modells sogar noch mehr Geld einsparen könnte. Dazu muss man es auf die beschränken, die es wirklich brauchen. „Einen Traktoristen kann ich auch ohne den Vertrag schnell in Arbeit vermitteln“, sagt Buchkremer. Wichtig sei der Eingliederungsplan eher bei Hochqualifizierten und Akademikern. „Die haben oft unrealistische Träume, da muss man sich wieder und wieder mit ihnen hinsetzten und fragen, wo willst du hin und wie kannst du das schaffen.“

Wenn ab 1. Januar 2005 das Zuwanderungsgesetz gilt, können sich alle deutschen Kommunen überlegen, ob sie das Kontraktmodell anwenden. Horst Winkler, der zuständige Ansprechpartner vom Bundesamt für die Anerkennung von ausländischen Flüchtlingen (BAFl) rechnet damit, dass es in allen Bundesländern Interessenten gibt. Zumindest wird das BAFl den Gemeinden das Modell empfehlen. „Das können wir ja nicht machen, eine 3 Millionen Euro teure Testphase durchlaufen und hinterher sagen: Das Ergebnis war gut, aber jetzt verschwindet das in der Schublade.“ In Dortmund wollen die Behörden allerdings erst mal den Rummel um Hartz IV und all seine Unwägbarkeiten abwarten, bevor sich die Stadt wieder den Immigranten zuwendet.