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Archiv-Artikel

Ein Risiko für Freiheit und Würde

betr.: „Wer Bienenstich nascht, fliegt raus“, taz vom 25. 2. 09

Die Entlassung einer Kassiererin wegen 1,30 Euro ist zwar ein Anlass zur Empörung über die Rechtsprechung, aber eine Kritik, die dabei stehen bleibt, wird ungewollt affirmativ. Denn diese Rechtsprechung ist auch Ausdruck der Abhängigkeits- und Machtverhältnisse, wie sie in den Betrieben zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern herrschen. Beleidigt ein Arbeitnehmer seinen Chef, dann kann der Arbeitgeber kündigen, futtert er einen Bienenstich, ohne zu bezahlen, kann der Arbeitgeber kündigen und der Arbeitnehmer verliert Arbeitsplatz und Lebensunterhalt. Und umgekehrt? Beleidigt der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer, dann kann der Arbeitnehmer – ja was kann er? Er kann auch kündigen! Enthält der Arbeitgeber ihm den Lohn vor, dann kann der Arbeitnehmer auch kündigen! Er macht das nicht, weil er auf den Job angewiesen ist.

Das Angewiesensein auf Lohnarbeit, ein Verhältnis, in das die kapitalistische Eigentumsordnung die Arbeitnehmer stellt, ist nicht nur ein Armutsrisiko erster Güte, sondern ebenso ein Risiko für Freiheit und Würde. Zieht man diese Lehre aus dem Fall in Berlin, dann schmeckt der Bienenstich umso besser.

WILHELM ACHELPÖHLER, Münster