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Archiv-Artikel

Gericht rettet Neuenfelde vor Airbus

Baustopp für abermalige Werkspistenverlängerung im Eilverfahren bestätigt. Behörde hat Notwendigkeit für Ausbau nicht hinreichend geklärt. Klägeranwalt Nebelsieck: Rechtsstaat hat unter politischem Druck funktioniert

Angst vor einem Standort zweiter Klasse rechtfertigt Enteignung nicht

Von Gernot Knödler

Das Dorf Neuenfelde ist auf absehbare Zeit vor dem Airbus-Werk in Finkenwerder sicher. Wie das Oberverwaltungsgericht (OVG) gestern mitteilte, bleibt der Baustopp für die erneute Verlängerung der Airbus-Werkspiste in Finkenwerder bestehen (Az. 2BS300/04). Das Gericht hat damit als letzte Instanz das Eilverfahren dazu entschieden. Bis die Urteile im Hauptverfahren fallen, können Jahre vergehen. CDU, SPD und Handelskammer äußerten sich bestürzt. Bernd Reinert von der CDU-Bürgerschaftsfraktion sprach von einem „schweren Schlag für den Luftfahrtstandort Hamburg“.

Das Gericht schützt mit seinem Beschluss die Rechte von zehn Grundeigentümern und Pächtern, die für die Verlängerung der Werkspiste um 589 Meter hätten enteignet werden müssen. Den Planfeststellungsbeschluss hierfür hatte der Senat auf Drängen von Airbus am 28. Juni erlassen. Die Firma hatte ihren Wunsch damit begründet, dass sie auch die Frachtversion des geplanten Riesen-Airbus A380 von Finkenwerder ausliefern wolle. Die für solche Flüge beladenen Frachter seien schwerer als die Passagierversionen des Riesenfliegers und brauchten deshalb mehr Platz zum Starten und Landen. Die in Bau befindliche, erste Pistenverlängerung auf Grundlage des Planbeschlusses vom Mai 2000 reiche nicht aus.

Im Gegensatz zum Verwaltungsgericht begründete das OVG seine Entscheidung nicht mit der Rechtswidrigkeit dieses ersten Planfeststellungsbeschlusses, sondern mit der voraussichtlichen Rechtswidrigkeit des neuen Plans: Die Behörde habe „die für die Verlängerung sprechenden Gründe und die Rechte der von einer Enteignung bedrohten Grundeigentümer unvollständig und voraussichtlich fehlerhaft gegeneinander abgewogen“.

Enteignungen zu Gunsten eines privaten Wirtschaftsunternehmens seien nur insoweit zulässig, wie das konkrete Vorhaben dem wohl der Allgemeinheit diene. In ihrem Enteignungsgesetz habe die Bürgerschaft zwar festgestellt, dass die Produktion des A380 für die Wirtschaftsstruktur wichtig sei. Sie habe jedoch nicht beschlossen, Grundstücke für die erneute Pistenverlängerung zu enteignen.

Die Planfeststellungsbehörde habe nicht hinreichend detailliert geklärt, warum die abermalige Verlängerung nötig sei und damit „in ihrer Abwägungsentscheidung das tatsächliche Gewicht des Vorhabens für das Allgemeinwohl nicht richtig erfasst“. Überdies spreche viel dafür, dass die bloße industrielle Abnahme und Auslieferung des A380-Frachters in Finkenwerder wegen der geringen Stückzahlen nicht ausreiche, um Enteignungen zu rechtfertigen. „Andernfalls wäre es einem Großunternehmen mit der bloßen Erklärung, dass es andernfalls Arbeitsplätze abbauen müsse oder den Standort aufgebe, möglich, eine Betriebserweiterung mit Hilfe einer Enteignung benachbarter Grundeigentümer durchzusetzen“, so das Gericht.

Befürchtungen, Hamburg könne gegenüber Toulouse zu einem Standort zweiter Klasse werden, taugten nicht zur Rechtfertigung, befand das Gericht. Hier werde nicht zwischen Nachteilen aus sachlichen Gründen und solchen aus konzerninternen Vorgaben unterschieden. Handelskammer-Präses Karl-Joachim Dreyer zeigte sich über diese Aussage erschreckt und bot Nachhilfeunterricht an, der aber auch angenommen werden müsse. „Sonst klebt Deutschland weiter am Boden und starrt auf die Rücklichter aufsteigender Nachbarländer“, orakelte Dreyer.

„Mit der heutigen Entscheidung beweist der Rechtsstaat, dass er auch in politisch überlagerten Großverfahren funktionieren kann“, freute sich Kläger-anwalt Rüdiger Nebelsieck.