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Archiv-Artikel

Dissidenz in Dur

Eine „Koalition der Musikalischen“ gegen George W. Bush will den Demokraten John F. Kerry ins Amt musizieren

Gute Menschen sind ein Segen, Gutmenschen die Pest. Sei es nun Patti Smith, die ihr Publikum mit Texten von Hermann Hesse martert, sei es der gebellte Allzweck-Protestklassiker „Fuck Bush“ – seit dem Irakkrieg geht kaum ein Konzert von US-Musikern über deutsche Bühnen, auf denen sich die Künstler nicht lang, breit und leidenschaftlich für die Umtriebe ihrer Regierung entschuldigen.

Wer sich über solche wohlfeilen Beteuerungen echauffiert, den bittet R.E.M.-Sänger Michael Stipe um Nachsicht: „Nicht alles, was man über unser riesiges, eigentlich unregierbares Land hört, repräsentiert die Meinung der Menschen, die dort leben“, sagte er der taz. Aber Akkorde sind genug gewechselt, nun kann man endlich Taten sehen: „Vote For Change“ nennt sich eine musikalische Koalition, die vor der US-Präsidentschaftswahl gezielt in solchen Bundesstaaten auftreten wird, die sich noch nicht zwischen Bush und Kerry entschieden haben werden. Dass das eine Wahl zwischen Skylla und Charybdis ist, weil hinter jedem Kandidaten Konzerne stehen, ficht die klampfenden Wahlkämpfer nicht an: Pearl Jam, Springsteen und R.E.M. sind längst selbst millionenschwere Unternehmen.

Dass Musiker bei Parteitagen oder Wahlkampfveranstaltungen politisch Farbe bekennen, ist sogar hierzulande ein alter Hut – mit eisigem Entsetzen erinnern wir uns an Sozi-Rocker wie Westernhagen oder die Scorpions. Neu an „Vote For Change“ ist aber das strategische Kalkül, mit dem die Musiker ihre Glaubwürdigkeit und Popularität gezielt in den Dienst der Demokraten stellen. Mit dem besonderen Propaganda-Coup, dass auch das konservative Urviech Bruce „Born In The USA“ Springsteen mit im Boot ist. Früher war Pop bestenfalls gut dafür, ein diffuses Unbehagen an der Gesellschaft auszudrücken, von „Give Peace A Chance“ bis „Eat The Rich“. Heute üben sich die Stars in demokratischer Teilhabe statt in Dissidenz, ganznach Frank Zappas notorischer Forderung: „Dont forget to register to vote“.

Apropos: Was macht eigentlich der inzwischen 62-jährige Urvater des protestierenden Pop? Bob Dylan macht fröhlich Werbung für Apple, Volkswagen und Büstenhalter. Tja, the times they are a-changin’. ARNO FRANK

„VOTE FOR CHANGE“: Pearl Jam, Bruce Springsteen, R.E.M., Dave Matthews Band, Jurassic 5, Dixie Chicks, Death Cab for Cutie, James Taylor, Ben Harper, My Morning Jacket, Jackson Browne, Bonnie Raitt, John Fogerty, Keb’ Mo’, Bright Eyes, John Mellencamp, Kenny „Babyface“ Edmonds