: berliner szenen Frauen mit Hut
Schönheit verschenkt
Es ist ein Virus, das vor allem die Frau über 30 befällt. Die Betroffene ist leicht zu erkennen, denn auf dem Kopf trägt sie, als würde es sie schmücken, eine überdimensionierte Narrenkappe oder die Stoffattrappe eines zerbeulten Wehrmachtshelms, unter dem das eigentlich hübsche Gesicht vollkommen verschwindet. „Das eigentlich hübsche Gesicht“ – genau das wirft doch vor allem die Frage nach dem Warum auf.
Vielleicht muss man sich das Ganze wie folgt vorstellen: Die Frau über 30 steht vor dem Spiegel. „Ich seh ja noch ziemlich gut aus“, denkt sie sich, „eigentlich besser denn je – es ist schwer zu ertragen. Wie könnte ich mich denn jetzt, auf dem Höhepunkt, am besten verschandeln?“, überlegt sie weiter, „vielleicht die Ohren abschneiden oder die Nase?“ Prüfend deckt sie die Ohren mit den Händen ab, dann die Nase. „Nein“, entscheidet sie traurig, „das genügt noch lange nicht. Da ist noch viel zu viel von meiner Schönheit zu erkennen.“ Und dann hat sie die Idee: „Ich könnte ja einfach so einen irrsinnig doofen Deckel aufsetzen. Den haben doch jetzt viele. Ich geh nächsten Sonntag auf diesen Berliner Kunstmarkt zu dem Stand, wo diese bescheuert aussehende Frau diese überteuerten Selbsthassartikel anbietet …“
Und so geschieht es. Aber weil sie Humor hat, die Frau über 30, und weil es zum Spiel gehört, wird sie mich fragen: „Na – wie gefällt dir der Hut?“, und sich dazu elegant um die eigene Achse drehen. Und ich werde versuchen, meine Abscheu zu unterdrücken und mit fester Stimme zu antworten: „Ja … äh … toll!“ Denn auch das gehört zu dem Spiel. Nie ausschließen darf man dazu das geringe Restrisiko: dass sie mich nicht verarschen will, dass sie nicht weiß, wie sie aussieht, dass sie es tatsächlich ernst meint. ULI HANNEMANN