: Die gläsernen Manager der USA
Was Konzerne aus Deutschland für unmöglich halten, ist in Nordamerika Alltag: Die Gehälter der Firmenvorstände werden veröffentlicht. Weder führt das zu Gleichmacherei noch zu Anfällen von Bescheidenheit. Es profitieren dafür aber die Aktionäre
VON HANNES KOCH
Wie die meisten großen Unternehmen in Deutschland weigert sich die Allianz AG, die Gehälter ihrer Vorstände offen zu legen. Das sei nicht im Interesse des Unternehmens und der Aktionäre, heißt es bei der Versicherung. Ein Argument, das Kenner der USA für abwegig halten. Dort sind die an der Börse gelisteten Firmen gehalten, nahezu jeden Dollar zu veröffentlichen, den ihre Direktoren verdienen.
Hierzulande folgen die wenigsten Aktiengesellschaften den Empfehlungen des Corporate-Governance-Kodex. Diese freiwillige Richtlinie sieht die individualisierte Veröffentlichung aller Einkommen der Vorstandsmitglieder vor. Die Debatte in Deutschland entzündet sich jetzt einerseits an der Heimlichtuerei der Firmen, andererseits an der Höhe der Bezüge, die als teilweise obszön empfunden wird.
In den USA achtet die Börsenaufsicht SEC darauf, dass der Managerlohn mit vielen Einzelheiten transparent gemacht wird. So findet jeder, der es wissen will, dass Microsoft-Milliardär Bill Gates 2003 ein Fixgehalt in Höhe von 551.667 Dollar und einen variablen Bonus von 313.447 Dollar erhielt. „Hier ist alles nachvollziehbar“, sagt Manfred Dransfeld, Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer in New York.
Die Publizität der Gehälter, so Dransfeld, führe keineswegs zu ihrer Nivellierung. Das ist das offizielle Argument, das die Allianz AG in ihrem Geschäftsbericht 2003 gegen die Transparenz ins Feld führt. Wenn ein Vorstandsmitglied weniger verdiene als sein Kollege, werde es eine Erhöhung verlangen – möglicherweise ohne seine Leistung zu steigern. So die Logik der Allianz.
„Das kann ich nicht nachvollziehen“, sagt Dierk Müller. Er ist Geschäftsführer der Amerikanischen Handelskammer (AmCham) in Deutschland. Seiner Ansicht nach steht es dem Aufsichtsrat einer Gesellschaft immer frei, die Gehälter an der individuellen Leistung oder am Ertrag der jeweiligen Vorstandssparte auszurichten. Bei transparenten Gehältern werde das Aufsichtsgremium geradezu zur Differenzierung ermuntert.
Der AmCham-Geschäftsführer meint im Übrigen, dass manche Auswüchse bei den Managergehältern unterblieben, wenn diese öffentlich seien. Manfred Dransfeld von der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer fällt dazu ein schönes Beispiel ein: Als Jack Welch, Exchef von General Electric, 2000 in den Ruhestand ging, nahm er millionenteure Pensionszusagen, Gratisflüge mit der Firmen-Boeing und kostenlose Weinbelieferung mit. Das kam später heraus, Welch musste sich rechtfertigen. Andere Vorstände würden deshalb jetzt vorsichtiger sein, schätzt Dransfeld.
Wie immer ist das Leben aber auch hier komplizierter. Welchs Eskapaden flogen nur auf, weil seine Exfrau im Scheidungsprozess alles erzählte. Vorher hatten die Aktionäre nichts gemerkt – Veröffentlichung der Vorstandsgehälter hin oder her. Auch die US-Gesetze haben Lücken.
Und trotz der Veröffentlichungspflicht in den USA sind die dortigen Chefgehälter weit davon entfernt, niedrig zu sein. Spitzenreiter Sanford Weill, Vorstandsvorsitzender der Citygroup, nahm 2003 etwa 24,6 Millionen Dollar ein. Die Veröffentlichung schafft offenbar keine Gerechtigkeit im Sinne derjenigen, die meinen, die Gehälter der Chefs seien zu hoch.
In erster Linie dient die Transparenz den Aktionären. „Deren Einfluss nimmt zu“, so Dransfeld. Die Anteilseigner bekommen Informationen, welcher Vorstand sein Geld wert ist und welcher nicht – im Sinne des Shareholder-Value, der ja mit Gerechtigkeit nichts zu tun haben muss.