zeichen, wand etc.
: Hamburger Graffiti

Cool Killer

„Die Phantasie an die Macht“, hieß es 1967 an den Wänden und später – jede Generation stellt die Ideale der vorherigen in Frage – „Keine Macht für niemand“. Danach – es war schon in den 80ern – gab’s bunte Graffiti, und Jean Baudrillard fand heraus, dass Graffiti in erster Linie ein Existenzbeweis derer seien, die sie geschrieben haben, und die Jugendämter kamen auf die pfiffige Idee, Jugendlichen Wände zur Verfügung zu stellen, und in den Postkartenkollektionen jeder Stadt gibt es ohnehin immer welche, auf denen Graffiti die Kreativität der jeweiligen Stadt bezeugen sollen. Und wenn man so die Straßen entlanggeht, nun mal ehrlich: Die legalen Graffiti an den Wänden irgendwelcher Jugendtagesstätten sind doch so interessant und sexy wie der Schlagerfreund und Hamburger Justizsenator Kusch. Andererseits …

Aus den USA schwappte die Theorie herüber, dass Graffiti quasi der Verwahrlosung Anfang seien. In Berlin gründete sich der Verein „Nofitti“ und versucht seit zehn Jahren, dem Bemalen der Wände der Stadt ein Ende zu setzen, weil die wohl sonst keine Sorgen haben. Die einen machen Profite mit der Herstellung von Farbspraydosen und Eddings, die anderen stellen Mittel zur Graffitientfernung her. Ach, überhaupt, wenn man so zurückdenkt: „Die Phantasie an die Macht“ wird schön gewesen sein in Zeiten, in denen noch nicht jeder Winkel des öffentlichen Raums an Firmen zu Zwecken der Werbung vermietet wurde, und die Unternehmen bezahlen ja eigentlich unsere Augen, die das unentgeltlich überall anschauen müssen.

Und wie froh ist man doch immer, wenn man an Wänden individuelle Bilder und Botschaften der Städtebewohner entdeckt, denkt man so beim Lesen der Meldung, in der es heißt, dass Hamburg (oho!) nun als zweites Bundesland eine neue Verordnung gegen Graffiti erlassen hat, der zufolge jeder, der was an eine Wand malt, wegen „Veränderung des Erscheinungsbildes einer Wand“ mit einem Ordnungsgeld von „bis zu 5.000 Euro“ bestraft werden kann, „auch wenn keine strafbare Sachbeschädigung vorliegt“.

Was sagt man dazu: Die Wände in den Vierteln mit hoher Graffitidichte sind im allgemeinen eh „verwahrloster“, als die Zeichen, die auf ihnen stehen. Eine gewisse Verwahrlosung würde der Elbchaussee ganz gut stehen. Die schönsten Berliner Graffiti der letzten Monate sagten: „Hier verkauft der Bundeskanzler Heroin an kleine Kinder“, „Östrogen ist Gottes Blut“ und „Nieder mit dem Freiheitsdenken“. Worüber man noch lange nachdenken kann.

DETLEF KUHLBRODT