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Archiv-Artikel

Alter europäischer Reflex

betr.: „Bedenkenloser Hochmut“ von Ralph Bollmann, taz.mag vom 30. 8. 03

Dass der Autor einseitig den „Hass“ der Europäer auf „Amerika“ und ihre „Arroganz“ beklagt, leuchtet dem Betrachter der internationalen Beziehungen irgendwie nicht ein: Auf welcher Seite des Atlantiks gab es in den letzten Monaten mehr Hassbekundungen gegen die andere, ja mehr Arroganz? In den angeblich so weltoffenen USA des George W. Bush wurde z. B. nach dem Scheitern der UNO-Irakresolution eine antifranzösische Kampagne in weiten Teilen der Öffentlichkeit gestartet, die in Europa ihresgleichen sucht. Weine wurden in die Gosse gekippt, Senatoren und andere Prominente schlugen vor, Frankreich wegen seiner Haltung im UN-Sicherheitsrat wirtschaftlich zu „bestrafen“, also den Boden der internationalen Legalität zu verlassen. Daraus wurde zwar nichts, aber was hält Ralph Bollmann von solchen massenpsychologischen Phänomenen in der amerikanischen Gesellschaft?

[…] Was jetzt die Formulierung „die älteste Demokratie der Welt“ angeht, sollte man in der taz nicht daran erinnern, dass sie auf einem historischen Irrtum basiert: Die erste moderne Demokratie der Welt war die Schweiz (die übrigens die Verfassung der USA, über Rousseau und Condorcet, wesentlich beeinflusst hat), und die moderne parlamentarische Praxis wurde bekanntlich in England „erfunden“. Man hat den Eindruck, dass Ralph Bollmann am Anfang des 19. Jahrhunderts stehen geblieben ist, dass er mit Tocqueville noch glaubt, die USA seien das ungefährlichste Land der Welt, da sie keine Nachbarn und keine Armee haben (was damals durchaus stimmte). Es sieht insgesamt so aus, dass der Autor Opfer der Old-Europe-Propaganda der Bush-Administration und des in Europa so klassischen schlechten Gewissens gegenüber den USA ist, dass er sich genüsslich in Selbstkasteiung üben will. Das ist ein alter europäischer Reflex, dem Ralph Bollmann auch eindeutig verfällt, wenn er schwarzweiß den bösen europäischen Kolonialisten, die „auch auf dem Territorium der USA“ scheiterten, die tugendhaften Amerikaner gegenüberstellt. Er sollte daran erinnert werden, dass die USA trotz einer hartnäckigen politischen Legende durchaus eine eigene koloniale Tradition haben, sei es in der Karibik, sei es im Pazifik oder in Südostasien – ganz zu schweigen von der Geschichte der Landnahme auf ihrem eigenen Territorium. Die USA gehören übrigens zu den letzten demokratischen Staaten, die die Sklaverei abgeschafft haben. […]

HUBERT GUICHARROUSSE, Paris/Berlin

Die Kritik, die hier angesetzt wird, gegen die Friedensbewegung, gegen die Antiimperialisten, gegen die „alte“ europäische Politik und gegen die Globalisierungskritiker ist so alt und so oft gehört, dass der Artikel wie ein dreifach aufgebackenes Brötchen wirkt. Die Einwände und die zwischen den Zeilen zu lesende Meinung: „All diejenigen, die sich im Antiamerikanismus verschwören, sollten erst mal ihre eigenen Probleme lösen, statt den Feind woanders zu suchen“ sind sicherlich im Ansatz berechtigt, wirken aber kontraproduktiv. Schließlich wird verkannt, dass sich auch die „Amerika-Gegner“, sofern diese diffuse Masse überhaupt als Einheit zu fassen ist, aus dem Stadium des bloßen Dagegenseins weiterentwickelt haben. Lösungen bietet auch der Autor nicht. Was bleibt, ist das unbestimmte Gefühl, essayistischer Meinungsmache auf den Leim gegangen zu sein. DANIEL METTKE, Berlin