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Archiv-Artikel

Lernen in Lohbrügge

Senatorin besuchte hauptschule Richard-Linde-Weg, an der in drei jahren in folge alle schüler abschluss schafften

Weil sie den dialog verbessern möchte, besucht bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig ab jetzt jede woche eine schule. Den anfang machte sie gestern an der grund-, haupt- und realschule Richard-Linde-Weg in Lohbrügge. Die wartet seit dem schulbaustopp vom april vergeblich auf ihre neue turnhalle. Weil die alte für die knapp 700 Schüler nicht reicht, müssen sich am vormittag dort zwei Klassen mit 60 Schülern drängen.

Doch vor dem hohen besuch wird nicht geklagt. „Wir hoffen noch auf die halle. Aber wir sind deswegen nicht gleich auf die straße gegangen“, sagt schulleiter Manfred Klein der senatorin. Die wiederum zeigte sich sehr angetan von der GHR-Schule, die im jahr 2000 noch unter rot-grün einen schulversuch namens „AnSCHuB“ startete, dessen ergebnisse in der tat für sich sprechen. Während hamburgweit bis zu 20 prozent der hauptschüler ohne abschluss abgehen, waren es am Richard-Linde-Weg seither keine.

Das geheimrezept heißt „praxistag“: in klasse 7 lernen die hauptschüler vorab schon etwas mehr mathe, haben dafür in klasse 8 und 9 nur drei tage unterricht und zwei tage im betrieb, was sie offenbar sehr zum lernen motiviert. Und seit neuestem fließt eine präsentation über das in der praxis gelernte sogar im fach deutsch in die prüfungsnote ein. Damit schüler pünktlich sind, gibt es zudem ab klasse 7 einen „erziehungsvertrag“ mit den eltern.

„Wir müssen für die anderen schulen aufzeichnen, was hier geschieht“, begeisterte sich Dinges-Dierig, denn die ansätze dieser modellschule kommen ihren eigenen Ideen sehr nahe. Sie hatte erst am freitag verkündet, es solle für schüler, deren abschluss gefährdet ist, neue wege geben. Dinges-Dierig schwebt vor die praxispräsentation als 4. prüfungsfach neben deutsch, englisch und mathe einzuführen. Eine fünf in einem dieser drei fächer könnte so ausgeglichen werden.

Dinges-Dierig hatte darüber hinaus angedacht, einen abschluss ohne englisch einzuführen, der nicht zu weiterführenden schulen berechtigt, und als „dritten weg“ ein besonderes 9. schuljahr für schüler, bei denen in klasse 8 deutlich ist, dass ihr abschluss gefährdet ist. In der bildungspolitischen szene sind diese ideen allerdings umstritten. „Statt englisch wegzulassen, müsste der unterricht verbessert werden“, fordert die SPD-abgeordnete Britta Ernst. „Die schulsenatorin schickt einen teil der schüler aufs abstellgleis“, fürchtet auch die GAL-politikerin Christa Goetsch. „Sie schafft hauptschüler 1., 2. und 3. klasse“. Und in lehrerkreisen gibt es gar zweifel am praxistag an sich, weil dadurch letztlich auch nicht mehr ausbildungsplätze gezaubert werden. Das sehen auch die lehrer aus Lohbrügge. Lag die quote der schüler, die direkt nach klasse 9 eine lehre bekamen, 2002 und 2003 sensationell bei über 50 prozent, so erreichte sie in 2004 nur noch 32 prozent. Dies sei aber immer nocht gut, versichert lehrer Harry Schindler: „80 prozent unserer Schüler wissen ganz genau, was sie wollen.“ KAIJA KUTTER