: Für ,fick dich‘ vor den kadi zitiert
Exempel zu statuieren war einst ein beliebtes pädagogisches mittel: generalstaatsanwältin Kirsten Graalmann-Scheerer scheint seine qualitäten neu zu entdecken. Zur deutung ihrer verfügungen verweist die chefanklägerin aber aufs amtsgericht
Bremen taz ■ Ein urteil gab es nicht. Was die anklage-behörde vorhatte, aber aufgrund einer weisung der generalstaatsanwältin Kirsten Graalmann-Scheerer nicht durfte, führte nun der vorsitzende richter aus: Er stellte das verfahren gegen einen 19-jährigen berufsschüler ein. Der hatte seinen mathematiklehrer als arschloch tituliert und aufgefordert, sich zu ficken. Der anlass: Ihm war eine wegen täuschungsversuchs mit „sechs“ benotete klausur zurückgegeben worden.
Festzuhalten ist: Vor seiner entscheidung muss der amtsrichter dem heranwachsenden, so das jugendgerichtsgesetz, „das unrecht der tat eindringlich vorhalten“. Aber auch mit dem opfer hat richter Rolf Steinhilber gesprochen. Er habe ihn „gefragt, was er sich denn von einer gerichtsentscheidung verspricht“.
Darauf müsste auch generalstaatsanwältin Kirsten Graalmann-Scheerer antworten können: Als sich sich der lehrer bei der justizbehörde über die geplante einstellung beschwert hatte, ergriffen sie und justiz-staatsrat Ulrich Mäuer die initiative: In einer gemeinsamen erklärung kündigten sie an, dass „bei beleidigungen und vorsätzlichen körperverletzungen von lehrern durch schüler“ grundsätzlich nicht mehr eingestellt werden soll. Vorausgesetzt, die schule ist der tatort. Ausdrücklich wurde dabei erwähnt das fick-dich-verfahren erwähnt: „Die generalstaatsanwältin wies die staatsanwaltschaft an, anklage zu erheben.“
Fragen wir also die chefanklägerin: Was versprechen Sie sich von ihrer anweisung, frau professor Graalmann-Scheerer? Frau professor antwortet nicht. „Dafür ist das amtsgericht zuständig“, lässt sie ausrichten. Das muss ein irrtum sein: Es geht ja gerade nicht um die entscheidung, sondern um die anweisung der generalstaatsanwältin: ankläger und richter sind doch wohl nicht identisch? Außerdem ist die anordnung etwas einzigartiges: So etwas gibt’s in ganz Niedersachsen nicht mehr, selbst im justizministerium des als repressiv geltenden Bayern ist „nichts vergleichbares bekannt“ . Und außerdem: anklagebehörde und richterschaft gehören im rechtsstaat getrennt. Trotzdem soll das bremer amtsgericht zuständig sein? „Das soll ich Ihnen so sagen“, so die auskunft ihres vorzimmers.
Klar, es muss grenzen geben. Aber: diese müssen einer kritischen prüfung schon standhalten. So ist befremdlich, dass die justizbehörden die erhebliche straftat der „vorsätzlichen körperverletzung“ und das vergehen der beleidigung gleichstellt. Ebenso fraglich, ob die ausdrückliche ermutigung zum strafantrag im spannungsfeld schule weiter hilft. So hält die renommierte konfliktforscherin Angela Mickley den gang vor gericht hier für „unpassend“. Eine weisung, wie die der bremer generalstaatsanwaltschaft sei zwar „für die justiz in ordnung“. Doch „man könnte und sollte etliche stufen vorher anfangen.“ Das einschalten des richters wäre „als letzter punkt eines mehrstufigen programms“ sinnvoll. Andernfalls aber wirke es „wie ein pädagogisches armutszeugnis“.
Mickley hat praktische erfahrung: An schulen in sozialschwierigen berliner bezirken hat die potsdamer fh-professorin solche konfliktmanagement-programme aufgebaut. „Dadurch konnte ein prozess häufig vermieden werden.“ Damit das greife, sei aber wichtig, dass die zuständige behörde und die kollegien sich auf einen verbindlichen maßnahmen-katalog einigen. „Oft fühlen sich die lehrer in solchen fällen allein gelassen.“
Jürgen Burger ist vorstandssprecher des bremer verbands der gewerkschaft erziehung und wissenschaft. Auch er äußert sich skeptisch über den vorstoß der generalstaatsanwältin: „Unsere priorität ist eindeutig, dass es nicht zu prozessen kommt.“ Auch weil man weiß, dass sich lehrer und schüler bei disputen oft gegenseitig aufschaukeln: „da gibt es einen ping-pong-effekt, auf jeden fall.“
Bedenken meldet auch Lisa Voigt an: Die gesamtschülerinnen-vertretung könne „natürlich allen nur empfehlen, sich im zaum zu halten“. Aber: auch die noten-gebung sei eben eine form der gewalt, so Voigt. Da sei es doch zumindest „verständlich, dass jemand seiner wut freien lauf lässt“. Schmähungen wie „fick dich“ seien nicht unüblich. „Da hört man schon schlimmeres auf den Schulhöfen.“
Schule war nie ein gewaltfreier raum – und die macht ist sehr ungleich verteilt: In fragen der notengebung ist der lehrer ankläger, richter und vollstrecker zugleich. Extrem eingeschränkt auch: die redefreiheit. Gerade auf dem feld der sprache, das hat der psychoanalytiker Kurt Singer in seinem standardwerk „die würde des schülers ist antastbar“ gezeigt, nutzen pädagogen oft ihre intellektuelle überlegenheit für demütigungen. Strafanzeigen von schülern folgen dennoch äußerst selten. Dieses ungleichgewicht wird durch die bremer sonderregelung nicht entschärft. Eine stellungnahme soll nicht verschwiegen werden. Sie stammt aus dem Senatsressort Justiz. Die mündliche verhandlung im fick-dich-verfahren, werde dort, so dessen sprecherin, „als erfolg verstanden“. benno schirrmeister