: Bestochen, bezahlt, abgeworben
Bei den olympischen spielen soll es fair zugehen, weder politik noch kommerz sollen die wettkämpfe beeinträchtigen: wie weltfremd und verlogen dieses ideal der neuzeit ist, zeigt nicht zuletzt ein blick auf den gesunden pragmatismus der antike
VON RALPH BOLLMANN
Es war der auftritt eines polit-wüstlings, wie ihn selbst der italiener Silvio Berlusconi nicht besser hätte erfinden können. Dem herrscher war es gelungen, bei allen vier großen sportwettbewerben griechenlands den sieg davonzutragen. Besonders glanzvoll war sein auftritt beim renommiertesten turnier in Olympia zwar nicht – beim wagenrennen kam es zu einem kläglichen sturz, und seine darbietungen als sänger wurden nur durch den einsatz bezahlter claquere vor dem absturz in die peinlichkeit bewahrt. Aber davon musste niemand erfahren, schließlich gab es die manipulierten medien, die bei der rückkehr nach Rom vom ruhmreichen wirken des tyrannen an den gestaden der fernen kulturnation kündeten.
Es war kein geringerer als der römische kaiser Nero, der im jahr 68 nach Christus den ausflug nach Olympia unternahm. Sogar der zeitpunkt der spiele war zum einzigen mal in der olympischen geschichte verschoben worden, um den terminwünschen des prominenten besuchers zu entsprechen. Immerhin war die affäre den organisatoren so peinlich, dass sie die 211. spiele kurzerhand aus den offiziellen listen strichen.
Ein solches eingständnis moralischer verfehlungen war in der antike jedoch höchst selten. Die hehren moralischen ansprüche der modernen olympischen spiele, die an diesem wochenende an ihren athener ursprungsort zurückkehren, waren den alten griechen völlig fremd. Niemals wären sie auf den merkwürdigen gedanken verfallen, ein wettkampf um sieg oder niederlage solle fairness und völkerverständigung befördern, sich von geld und politik ganz fern halten.
Als höchst merkwürdig hätten sie schon das idealistische wortgeklingel des modernen spielegründers Pierre de Coubertin empfunden, das zum späteren missbrauch durch ideologien – etwa 1936 bei den spielen in Berlin – geradezu einlud. Auch die ständigen Skandale um korruption und doping entspringen letztlich dem vergeblichen versuch, unvereinbares miteinander zu vereinbaren. Ein teueres massenspektakel ohne geld, ein harter wettkampf ohne kampf, ein politischer anspruch ohne politik: wie das klappen soll, können die funktionäre des IOC bis heute nicht erklären.
Nur ein höchst ideologiefreier pragmatismus ermöglichte es den griechen, ihre spiele fast 1.200 jahre lang am leben zu erhalten – von der angeblichen gründung im jahr 776 vor Christus bis zu ihrem Verbot im Jahr 393 nach Christus. So schreibt der wuppertaler altphilologe Karl-Wilhelm Weeber, der 1991 ein viel beachtetes buch über die „unheiligen spiele“ herausbrachte, über die griechen: „Was man von ihnen abschauen kann, ist die ehrlichkeit, mit der sie sich zum unbedingten siegeswillen und zur politischen vermarktung olympischer triumphe bekannten, zur schadenfreude über das scheitern von konkurrenten.“ Der pragmatismus äußerte sich nicht zuletzt im gebot des olympischen friedens. Er sollte die gefahrlose an- und abreise von sportlern und publikum ermöglichen, ohne den krieg während dieser zeit gänzlich aus der welt zu schaffen.
Vor allem die demokratiefeindliche amateur-idee Coubertins, wonach nur die besseren kreise an den spielen teilnehmen und sich mit geld bitte nicht die hände schmutzig machen sollten, findet in den antiken spielen keinerlei entsprechung. Sklaven durften an den antiken spielen zwar nicht teilnehmen – ebenso wenig wie barbaren, denn die spiele der griechen huldigten keineswegs dem modernen internationalismus. Aber für jene vollbürger der poleis, die aus einfachen verhältnissen stammten, erwiesen sich die spiele als höchst demokratisches instrument des gesellschaftlichen aufstiegs. Auch wenn in Olympia selbst kein geld, sondern nur ein lorbeerkranz zu gewinnen war: andernorts ließ sich das grünzeug sehr wohl in materiellen gewinn verwandeln. Auch heute leben die meisten sportler nicht von preisgeldern, sondern von der zweitverwertung ihres ruhms etwa in der werbung.
So konnten die sieger mit ihrem olympischen erfolg zu anderen spielen eilen, wo bares geld zu gewinnen war. Vor allem aber wurden sie von der heimatstadt meist reich beschenkt, obendrein genossen sie zeitlebens höchstes ansehen. Auch ein logenplatz im theater war ihnen meist sicher. Es ging ihnen ganz so wie dem trainer Otto Rehhagel, der einmal bemerkte, allein der fußball habe ihm den zugang zu höchsten gesellschaftlichen kreisen geebnet.
Schon damals erzürnten sich überhebliche intellektuelle über die ungeheuren summen, die ein angeblich hirnloser sportler in seinem gewerbe verdienen konnte. „Denn der macht euch nur zum scheine glücklich, ich aber wirklich“, versuchte sich etwa der philosoph Sokrates in volksbeglückung von oben, „und der ist nicht auf unterhalt angewiesen, ich aber wohl.“ Der schriftsteller Xenophanes klagte nicht minder beleidigt: „es ist unrecht, treffliche weisheitskunst minder zu werten als kraft.“
Trotzdem glaubte der historiker Jacob Burckhardt, von der verlogenen moral der eigenen epoche geblendet, die griechen hätten „nicht für materiellen gewinn“ gekämpft. Bei ihnen zählte, so Burckhardt, „der wille zum wettkampf an sich“. Das freilich ist, auch wenn der gelehrte aus dem schweizerischen Basel stammte, ein sehr deutsches prinzip. Noch in der schlussphase des zweiten weltkriegs, als es materiell nichts mehr zu gewinnen gab, huldigten die nationalsozialisten diesem „willen zum wettkampf“.
Gewiss waren auch die griechen vor immateriellen motiven nicht gefeit. Doch ging es bei ihnen viel eher um die narzisstische zurschaustellung des individuums, weshalb mannschaftssportarten im heiligen hain von Olympia gänzlich unbekannt waren. Buchautor Weeber diagnostiziert eine „fast krankhafte sucht, sich zu produzieren und gegenüber der masse der anderen zu profilieren“.
Bisweilen kam es vor, dass die antiken stadtstaaten für einen solchen prestigegewinn sehr viel geld bezahlten. Ähnlich wie im modernen fußball gab es städte, die vielversprechende sportler mit viel geld zur annahme eines neuen passes animierten. Nicht unbekannt war auch die praxis, den gegner dafür zu bezahlen, dass er sich besiegen ließ. Erlaubt war das nicht. Nach einer einschlägigen affäre musste Athen seine teilnahme an den olympischen spielen des jahres 388 vor Christus absagen.
Modern ist, wer gewinnt: diese zauberformel eines erfolgreichen fußballtrainers aus dem modernen griechenland war offenbar in der antike nicht unbekannt. So waren die spartaner weder in politischen noch in ästhetischen fragen für ihre fortschrittlichkeit bekannt. Aber um ästhetik ging es in Olympia nicht. Gerade in der populären schwerathletik, also bei ringen, boxen und allkampf, waren grotesk verfettete leiber und brutal entstellte gesichter zu bestaunen.
Bei den spartanern sorgte ähnlich wie in der späteren DDR ein system der militärischen wie sportlichen früherziehung für eine phänomenale erfolgsserie bei den olympischen spielen. Im gegensatz zu den DDR-funktionären gelang es den den spartanischen politikern zeitweise sogar, den wettbewerb fast völlig unter ihre kontrolle zu bringen. So dumm, die macht im heiligen hain kurzerhand in die eigenen hände zu nehmen, waren sie allerdings nicht. Mit seinem dumpfen kasernenhofsystem war sparta trotzdem nicht in der lage, mit dem wandel der zeiten schritt zu halten. In der späteren phase der olympischen spiele konnte der peloponnesische stadtstaat seine dominanz nicht aufrechterhalten.
Im gegensatz zu den spartanern, die bei allem militärischen drill doch mit der politischen landschaft Griechenlands harmonierten, waren die prunksüchtigen tyrannen von Syrakus ein steter quell olympischer reibereien. Die kolonie in ostsizilien war zeitweise die wohlhabendste aller griechischen städte, und entsprechend neureich traten ihre herrscher bei den spielen im mutterland auf. Mit seinem auftritt im jahr 388 vor Christus gab Dionys II. schon einen vorgeschmack auf das zweifelhafte gastspiel des römers Nero mehr als vier jahrhunderte später. Anders als Nero war der syrakusaner freilich nicht allmächtig. Er sah sich alsbald mit der forderung konfrontiert, den vertreter der „gottlosesten tyrannis“ von den spielen auszuschließen. Der aufruf zum boykott ist also fast so alt wie die spiele selbst: das immerhin haben antikes und modernes Olympia gemein.