Ganz der Alte?

Töchter – von Fußstapfen, Erbhöfen und Altlasten (Teil 4)Wie fühlt sich das an, wenn der eigene Vater Feindbild der gesamten linken Bewegung ist? Man findet schon sehr früh seine politische Heimat. Und man wird nachtragend.

aus Lenggries STEFAN KUZMANY

„Wie der Acker, so die Ruam, wie der Vatter, so di Buam, wie der Lehrer, so die Töchter, nur ein ganz klein bissl schlechter“

Bayerische Redensart

Sie kann doch nichts dafür, dass sie seine Tochter ist. Ist sie eine wie er? Das wollen sie alle wissen. Deshalb sind sie hierher gekommen, selbst bei 32 Grad im Schatten an diesem Augustabend, ins Festzelt des oberbayerischen Alpenortes Lenggries: die örtliche CSU-Prominenz, sämtlich in Lederhosen oder Dirndl gekleidet, und die Sommergäste, vielleicht 150, vielleicht 200 mögen es sein. Denn heute Abend spricht Staatsministerin Monika Hohlmeier, besser bekannt als „die Strauß-Tochter“.

Doch Hohlmeier lässt auf sich warten. Gerade redet der Landtagskandidat Johann Neumeier aus Unterammergau, Liste 1, Platz 12, Wahlkampfslogan: „Mit 112 auf Nummer Sicher“, Mitglied in allen örtlichen Vereinen, mit Ausnahme des Frauenbundes. Warten auf Monika Hohlmeier, Zeit, das Nötige zu tun: über ihren Vater zu berichten.

Der Vergleich ist selbstverständlich unfair. Franz Josef Strauß muss ein Phänomen gewesen sein, eine Erscheinung. Glaubt man beispielsweise einem Bericht des Tölzer Kurier vom 27. Februar 1978, müssen seine Auftritte in der Gegend keine schlichten politischen Wahlkampfveranstaltungen gewesen sein, es waren wohl, und mag das Wort noch so absurd klingen in diesem Zusammenhang, es waren Happenings. Geschützt von einem großen Aufgebot an Polizeikräften und flaniert von zentimeterdickem, tonnenschwerem Panzerglas, sprach der große Vorsitzende zur begeisterten Menschenmasse.

Der damals anwesende Kurier-Reporter gestaltete seinen Bericht folgerichtig wie eine Sportreportage. 2.000 warteten in Bad Tölz auf FJS, eine Stunde hatte er bereits Verspätung, die Spannung stieg: „Doktor Fadingers Vortrag folgte nur eine einzige lautstarke Anfrage: ‚Wann kommt Franz Josef?‘ Das freilich wusste zu dieser Stunde keiner. Über Polizeifunk erfährt man schließlich: ‚FJS hat Geretsried um 17.59 Uhr verlassen!‘ Und genau 20 Minuten später – Landrat Dr. Otmar Huber hat sich inzwischen auf der Wandelhallenbühne kurzfristig in der undankbaren Rolle des Lückenbüßers geübt – ist es so weit: Erwartungsvolle Blicke in den Mittelgang der Wandelhalle, CSU-Prominenz aus Landkreis und Stadt drängt sich dort, der bayerische Defiliermarsch erklingt, Strauß kommt!“

2003. Monika Hohlmeier strebt schnellen Schrittes durch den linken Seiteneingang zur Bühne des Festzeltes von Lenggries. Sie trägt ein hellblau kariertes Dirndl, um den Hals Perlen und eine Brosche, von Personenschutz keine Spur. Der Polizeifunk hat ihr Eintreffen offenbar auch nicht gemeldet, nur so ist es wohl zu erklären, dass die Musikkapelle Wackershausen, letztes Jahr 140-jähriges Jubliläum, den Auftritt Hohlmeiers verpasst. Sie hat schon alle CSU-Größen begrüßt, sitzt an ihrem Platz, als der Musikchef zu einer lieb gemeinten Geste ansetzt: „So, und jetzt spielen wir ganz speziell so wie früher für Ihren Vater den Bayerischen Defiliermarsch.“

So wie Hail to the chief, die Erkennungsmelodie des amerikanischen Präsidenten, ist der Defiliermarsch der Soundtrack für den bayerischen Ministerpräsidenten. Sollte sich Monika Hohlmeier, die ja nur Staatsministerin ist, über diese Aufmerksamkeit freuen, so ist es ihr jetzt jedenfalls nicht anzumerken. Doch, am Schluss hebt sie den Daumen der rechten Hand in Richtung Dirigent, gut hat er es gemacht, aber vorher, während die Blasmusikanten voller Elan aufspielen, da hat sie die Hände gefaltet und schaut ernst, fast verkniffen.

Später wird sie in ihrer Rede sagen, ein jeder habe das Recht auf seine eigene Identität. Als die Blasmusik spielt, schaut sie ernst, und es gibt Leute, die sagen, dass sich in solchen Momenten die Härte ihres Vaters in ihren Zügen widerspiegelt, was wahrlich kein Kompliment ist.

Die Anspannung Hohlmeiers legt sich schnell. Sie spricht leutselig. Wenn sie etwas energischer wird, wie gerade, als sie auf den Kerl schimpft (gemeint ist Gerhard Schröder), dann stützt sie die Rechte auf das Pult, die Linke in die Hüfte, oder deutet mit ihr in die Luft, um ihre Thesen zu unterstreichen. Doch, auch sie zieht die Schultern etwas hoch, wenn sie wirklich böse wird, also beispielsweise wenn sie feststellt, dass Bremer Schüler in der Pisa-Studie mit mexikanischen Kindern um den Rang bei der Lesekompetenz konkurrieren. Aber anders als bei ihrem Vater ist ihr Hals jederzeit sichtbar.

Es sind solche Feststellungen aus der Ferne, die an dieser Stelle getroffen werden müssen, denn Monika Hohlmeier hatte kein Interesse an einem persönlichen Treffen mit einem taz-Reporter. Es ist ihr schwer zu verdenken. Scheint es doch, als habe sie ihr Aufwachsen als Tochter des von der Linken gehassten Franz Josef Strauß geradezu traumatisiert.

Erst vor kurzem ließ sie als Beitrag zur Debatte um die geplante RAF-Ausstellung einen Artikel in der Münchner Abendzeitung veröffentlichen. Titel: „Der Schatten meiner Kindheit“. Darin und in weiteren Interviews beschreibt sie ausführlich, unter welchen Bedingungen die Familie Strauß zu Zeiten des linken Terrors leben musste. Als Zehnjährige wurde sie aus Sicherheitsgründen ausquartiert. Die Mutter hatte immer wieder Nervenzusammenbrüche – aus Angst. In der Schule wurde sie wegen ihres Vaters angefeindet. Dass es unangemessen wäre, die Familie Strauß als RAF-Opfer zu bezeichen, betont sie selbst. Doch sie seien Betroffene gewesen. Ihr Leben sei von ständiger Bedrohung geprägt gewesen.

Ihre aus dieser Erfahrung herrührende Scheu, sich den Medien gegenüber privat, also verletztlich zu zeigen, hat Hohlmeier allerdings in einem Fall wiederholt überwunden. Für Herlinde Koelbls Langzeitstudie „Spuren der Macht“ gab sie erstaunlich offene Interviews, berichtete ausführlich von einer Ehekrise, von Selbstzweifeln und über ihre abgekühlte Freundschaft zu Edmund Stoiber.

Mit Stoiber stritt sie sich Anfang der Neunziger über dessen demonstrative Abkehr von den Methoden der Strauß-Regierung. Stoiber wollte den Saubermann markieren, Hohlmeier forderte Loyalität zum Vater ein, dessen Büste der gescheiterte Kanzlerkandidat ja immerhin in seinem Büro stehen hat. Über ihren Vater sagt sie: „Der brauchte keine Beleuchtung. Der strahlte selbst.“ Ein „genialer Mensch“ sei er gewesen. Wenn Strauß finstere Momente hatte, verschlossen und verstummt, sei sie diejenige gewesen, die man zu ihm geschickt habe, um ihn wieder zum Reden zu bringen. Geld, das Strauß als Testamentsvollstrecker der Baur-Stiftung eingestrichen hatte – eine Funktion, auf die Stoiber während seines Saubermann-Schubs öffentlich verzichtet hat –, jenes Geld, das sie und ihre Brüder geerbt haben, mag sie nicht zurückzahlen. Und doch sagte sie der Filmemacherin Koelbl, sehe sie den Vater auch kritisch. Es ist keine politische Kritik, die sie dann äußert. Er war halt ein schwieriger Charakter.

Ihre Methoden sind andere als die des Vaters oder als die der CSU insgesamt, auch auf der Wahlkampfbühne. Beschimpfte Strauß Zwischenrufer („Haben Sie überhaupt Abitur?“), werden auf anderen CSU-Veranstaltungen blendende Scheinwerfer in Richtung der Demonstranten gerichtet, lächelt Hohlmeier solche Situationen einfach weg. Es ist allerdings auch nur eine einzige Zwischenruferin da in Lenggries. „Schleich di!“, schreit ein angetrunkener Gast die lautstarke Frau in grünem Kleid an, als diese Hohlmeier Widerworte geben will. „Sie können ja nach mir reden“, geht da Hohlmeier dazwischen. Man möchte fast glauben, sie meint es ernst. Und die Zwischenruferin lächelt und schweigt fortan.

Freilich vertritt Hohlmeier die typischen CSU-Positionen. Von der Wirtschaftslokomotive Bayern über die Grenzen der Integrationsfähigkeit von Ausländern (größter Applaus an dieser Stelle) bis hin zur besonderen Betonung der führenden Rolle des bayerischen Bildungswesens – ist ja schließlich ihr Ressort. Sie macht es aber geschickter als die meisten anderen Christsozialen. Trumpft nicht zu sehr auf. Gesteht gar Fehlbarkeit der Partei ein: „Vielleicht versagen wir auch mal, vielleicht läuft auch einmal etwas unglücklich.“ Sie betont Soziales, spricht lange über die Behindertenstiftung Pfennigparade. Es heißt, dass sie privat eine von der Parteilinie abweichende Meinung hat. Sie ist zwar nicht anders. Aber sie ist ein bisschen anders.

Vielleicht wird Monika Hohlmeier 2008 gegen den einzigen Mann antreten müssen, den die bayerische Sozialdemokratie gegen sie (und überhaupt) aufzuweisen hat: den höchst beliebten Münchner Oberbürgermeister Christian Ude. Zwar fällt ihr, die von Parteichef Edmund Stoiber in die Stadtpolitik gedrängt wurde und jetzt Münchner CSU-Vorsitzende ist, die Rolle der OB-Kandidatin automatisch zu, wenn sich der Ortsverband bis zum Wahlkampfbeginn auf keinen anderen Kandidaten geeinigt hat.

Und das ist höchst unwahrscheinlich, nennt man die CSU München doch nicht zu Unrecht „Intriganten-Stadl“ (Süddeutsche Zeitung) wegen ihrer notorischen internen Querelen. Oder, noch boshafter, „kriminelle Vereinigung“ – weil aus ihren Reihen nicht wenige verurteilte Straftäter hervorgegangen sind und sich dort immer neue Aspiranten auf diesen zweifelhaften Titel finden. Der Skandal um Wahlmanipulation mit eigens zu diesem Zweck angekauften CSU-Neumitgliedern ist da nur das jüngste Beispiel. Auch Hohlmeiers Bruder Max Strauß – immer für eine Affäre gut – zieht bei der Münchner CSU seine Fäden.

Monika Hohlmeier wird sich also aus mindestens drei Gründen hüten, für das Amt des Münchner Stadtoberhauptes zu kandidieren. Erstens stehen die Chancen auf einen Sieg gegen Ude sehr schlecht. Zweitens müsste sie sich im unwahrscheinlichen Falle eines Wahlsieges noch über Jahre mit dem Münchner Augiasstall beschäftigen – eine allzu glanzlose Aufgabe. Und drittens bremste sie die Kommunal- und Ortsverbandspolitik, ganz im Sinne ihrer parteiinternen Neider, auf ihrem Weg. An dessen Ziel wird Monika Hohlmeier bayerische Ministerpräsidentin sein.