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Archiv-Artikel

Der Mann, der (für die Stasi) „IM Wagner“ war

Der Deckname „ Wagner“ ist für die Birthler-Behörde eindeutig Günter Wallraff zuzuordnen

„Mit W. kann man nicht mehr zusammenarbeiten. Er ist unzuverlässigund haltlos“

aus Berlin MATTHIAS BRAUN

„Die neuen Vorwürfe sind die alten Vorwürfe“, sagte Günter Wallraff gestern. Er sagte das nicht zum ersten Mal. Seit nunmehr einem Monat wehrt sich die Journalistenikone – aus verdeckten Recherchen bekannt als Türke Ali und Bild-Redakteur Hans Esser – im Wochentakt gegen die Behauptung, wissentlich mit der Stasi zusammengearbeitet zu haben. Er ist nach Lothar Bisky der zweite Prominente, dem die so genannten Rosenholz-Dateien das Leben schwer machen.

Noch vor Monatsfrist konnte Wallraff auf die Unterstützung von Marianne Birthler zählen, der Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen. „Nichts Neues“, sagte auch sie. Die Welt, die den nicht ganz neuen Stasiverdacht wiederholt ventiliert hatte, musste eine Gegendarstellung drucken. Sowohl 1992 und 1998 als auch vor einem Monat konnte Wallraff glaubhaft dementieren. Seit gestern ist vieles anders. Gestern hat die Birthler-Behörde die Rosenholz-Unterlagen von Günter Wallraff herausgegeben. Und Marianne Birthler sagt jetzt: „Dass es für Günter Wallraff keine Neuigkeiten sind, was wir herausgeben, das kann ich mir wohl vorstellen.“

Wallraffs Name steht also in der Rosenholz-Datei. Das ist neu. Und aufregend, weil die nur unzureichend überlieferten Aktenbestände der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) durch Rosenholz einen Sinn bekommen. In der Datei stehen die Klarnamen ehemaliger Westkontakte der DDR-Auslandsspionage. Und auf ihnen steht auch eine Registriernummer, über die sich weitere Dateien erschließen lassen. Auf die Rosenholz-Datei kann die Birthler-Behörde erst seit Anfang Juli zugreifen, denn bis dahin lag sie beim CIA.

Der amerikanische Geheimdienst hatte die Stasidatei in den Wendewirren mit der Aktion unter dem Tarnnamen „rosewood“ erbeutet und erst vor kurzem zurückgegeben.

AUS EINEM STASIBERICHT:

Der seit längerem bekannte Deckname „Wagner“ sei nun eindeutig Günter Wallraff zuzuordnen, verbreitet jetzt die Birthler-Behörde. Von 1968 bis 1971 sei er aktiv gewesen. Im elektronischen Posteingangsbuch der DDR-deutschen Schlapphüte (Sira) stünden sechs Informationseintragungen – Berichte Wallraffs über den Bayer-Konzern, chemische und biologische Waffen und Schulungsmaterial der Bundeswehr. Was genau in den Berichten steht, wird niemand mehr erfahren. Noch 1989/90 gelang es den Stasi-Mitarbeitern, den größten Teil der HVA-Akten durch den Schredder zu jagen. Die Aktenvernichter mussten damals in Eisschränken abgekühlt werden, so heiß liefen sie.

Was die Stasi über Wallraff notierte, ist nicht neu und zeichnet ein differenziertes Bild. Als er 1976 den ausgebürgerten Wolfgang Biermann in seiner Wohnung aufnahm, schrieb die HVA einen so genannten Auskunftsbericht. Sie musste erklären, warum ihr IM dem DDR-Staatsfeind Nummer eins Unterschlupf gewährte (siehe Interview mit Hubertus Knabe). Da steht: „Durch seine Initiative trug er (Wallraff) wesentlich dazu bei, dem Kampf gegen die B- und C-Waffen-Rüstung in Westdeutschland … Richtung und Inhalt zu geben.“ Wallraff, der Einflussagent, der durch seine prominente Arbeit das Meinungsklima in der Bundesrepublik im Sinne der DDR zu verändern suchte?

Könnte sein. Aber auch eine andere Version ist möglich. Wallraff recherchierte lange mit Hilfe von DDR-Behörden über den Nationalsozialismus. Vielleicht musste er, um die notwendige Unterstützung zu bekommen, auch etwas geben. Weiter heißt es in dem Bericht, dass IM Wagner „einige brauchbare Ergebnisse erzielt“ habe. Diese jedoch, wird ergänzt, stünden zu seinen „Möglichkeiten in keinem Verhältnis“.

Folgerichtig schläft das Interesse der Stasi ein. „Mit W. kann man nicht mehr richtig zusammenarbeiten, er ist völlig unzuverlässig, haltlos und vergesslich“, lautet eine Einschätzung aus dem Jahr 1973. Warum die Stasi Wallraff unter diesen Umständen 1988 zu denen zählte, auf die in einem Kriegsfall Verlass wäre, darauf gibt es noch keine Antwort.

Und auch darauf nicht: Bei der Bundesanwaltschaft liege seit 1993 die Anklageschrift eines lange eingestellten Verfahrens. Das kolportierte die Süddeutsche. Die Schrift habe 342 Seiten. Und sie sei geschrieben worden, um gegen Stasimitarbeiter zu prozessieren, die sich um Desinformationskampagnen in Westdeutschland verdient gemacht haben. Ein „Fall Günter Wallraff“ sei dort ausführlich als Beleg für die Wirksamkeit dieser Einflussagenten ausgebreitet. Aus dem Dossier gehe hervor, dass Wallraff sich am 17. Dezember 1971 in Kopenhagen mit dem Stasimitarbeiter Heinz Gundlach getroffen habe. Somit ist zumindest interessant, wie diese Information zur Bundesanwaltschaft gelangte. Und ob sie stimmt.

Fragen über Fragen. Günter Wallraff kennt derzeit nur eine Antwort. Diese hatte er auch gestern parat. Und sie lautet, er und der IM Wagner seien zwei verschiedene Personen (siehe Interview mit Günter Wallraff). „Diese Zuordnungen haben mit mir absolut nichts zu tun.“