: Der Putsch und seine Folgen
Augusto Pinochet regiert mit eiserner Faust: Politisch Andersdenkende werden verfolgt, vom militärischen Geheimdienst gefoltert oder ermordet – sogar im Ausland, wie Allendes Außenminister Orlando Letelier. Mit anderen lateinamerikanischen Militärdiktaturen gründet Pinochet die Operation Cóndor, in der Oppositionelle aufgespürt und umgebracht werden. Dreitausenzweihundert Menschen werden hingerichtet oder verschwinden, fünfzigtausend politische Gefange überleben Haft und Folter.
Gleichzeitg implementiert Pinochet konsequent ein neoliberales Wirschaftsmodell: Reprivatisierung, Streichung staatlicher Subventionen, Öffnung der Grenzen, freie Konvertierbarkeit des Peso. Das Modell seines Wirtschaftsteams, den berüchtigten „Chicago Boys“, junge Marktwirtschaftler und Monetaristen, die an der Universität von Chicago bei Milton Friedman studiert hatten, wurde zum Vorbild für Lateinamerika.
Bereits 1978 verabschiedet die Regierung per Dekret ein Amnestiegesetz für die Verbrechen der Militärjunta. 1980 legt sie einen Verfassungsentwurf vor, der noch im selben Jahr per Volksentscheid angenommen wird. Die Verfassung sichert die Vormachtstellung der Militärs und legitimiert Pinochet als Präsidenten. Außerdem garantiert sie ihm nach seinem Abtreten einen Senatorenposten auf Lebenszeit und damit lebenslange Immunität. Unter zunehmendem inneren und äußeren Druck lässt Pinochet 1988 ein Referendum über eine Verlängerung seiner Amtszeit um weitere acht Jahre abhalten. Überraschend und mit knapper Mehrheit wird eine Verlängerung abgelehnt.
Erst zwei Jahre später tritt Pinochet zurück. Erstmals seit 17 Jahren steht mit Patricio Aylwin ein frei gewählter Zivilist an der Spitze des Staates. Aber auch danach sichert er sich eine zentrale Machtposition als Oberbefehlshaber des Heeres. Aylwin beruft eine Untersuchungskommission unter dem Vorsitz des Rechtsanwalts Raúl Rettig ein. Die Rettig-Kommission dokumentiert ausführlich Folterungen, Verschleppungen und Hinrichtungen, darf aber die Täter weder verurteilen noch namentlich erwähnen. 1998 legt Pinochet auch das Amt des Oberbefehlshabers nieder und wird Senator auf Lebenszeit.
Im selben Jahr lässt der chilenische Richter Juan Guzmán erstmals eine Anzeige gegen Pinochet zu. Ein Prozess scheint aber aufgrund seiner Immunität nach wie vor ausgeschlossen. Im Oktober wird Pinochet im Krankenhaus in London verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Grund ist ein internationaler Haftbefehl des spanischen Ermittlungsrichters Baltasar Garzon. Damit ist erstmals ein ehemaliger Präsident in einem anderen Land festgesetzt worden.
Im März 2000 lassen die britischen Behörden Pinochet wegen seines angeblich schlechten Gesundheitszustandes nach Chile ausreisen. Dort hebt wenige Monate später der Oberste Gerichtshof die Immunität des einstigen Diktators auf, entscheidet jedoch im Juli 2002, dass Pinochet prozessunfähig sei. Kurz darauf gibt Pinochet seinen Senatorensitz mit „ruhigem Gewissen“ auf. Richter erheben mehrere Strafverfahren gegen Mitglieder der Militärjunta. Sie behandeln Fälle von Verschwundenen als „Entführung“, und damit fallen sie nicht unter die Amnestie.
Am 28. August 2003 wird eine erneute Überprüfung des Gesundheitszustands Pinochets von einem Berufungsgericht in Santiago abgewiesen. MATTHIAS ANDREAE
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