: Was kostet ein Kind?
Nicht allein die geplanten Kitagebühren reißen Löcher in die Familienkasse. Es wird immer leerer im Kinderzimmer und enger bei der Ausbildung. Die Erhöhungen verschärfen den Fehler des Systems
von STEFFEN BECKER
Da, die Bluse, und schau mal, die Schuhe – wären die nicht was? Nicht für Laura Meißner*, denn Laura Meißner ist Mutter einer dreijährigen Tochter und eines einjährigen Sohns. Sie schaut nach neuen Gummistiefeln für die Kinder, die flotten Schuhe kann sie sich danach nicht mehr leisten. Laura Meißner ist nicht arm, ihr Mann verdient als EDV-Projektmanager 50.000 Euro brutto im Jahr. Vor drei Jahren war sie damit noch hochzufrieden. Jetzt – mit zwei Kindern – hat sie das Gefühl, ihre Familie kommt damit nicht hin. „Obwohl wir nicht so viel neu angeschafft haben, sind unsere Ersparnisse inzwischen aufgebraucht.“ Die Miete für die größere Wohnung, die Bionahrung, die Kleidung, die Kitagebühren – der Dispokredit wird immer weiter ausgeschöpft. „Ich hätte nicht gedacht, dass Kinder so teuer sind“, sagt die 40-Jährige.
In Zukunft rücken die Schaufensterschuhe in noch weitere Ferne. Für die Teilzeitbetreuung ihrer Tochter zahlen die Meißners bisher 110 Euro. 2004 werden es voraussichtlich 162 Euro sein. Laura Meißner wird bald wieder arbeiten gehen müssen. Wie sie sich dann um ihren Sohn kümmern kann, weiß sie noch nicht. Die Betreuung durch eine Tagesmutter hat sich immer noch nicht eingespielt. „Bisher haben wir unsere Lage gut verdrängt, aber spätestens jetzt wird uns klar, dass wir so nicht noch ein Jahr weitermachen können.“
Senator Klaus Böger (SPD) wirbt mit dem Argument für die Erhöhungen, dass nur die Besserverdienenden mehr zahlen. Sein Parteifreund und Bildungswissenschaftler Christoph Ehmann hält das für Augenwischerei. Die Erhöhung verstärke den Grundfehler des deutschen Bildungssystems. Die meisten staatlichen Mittel fließen in die weiterführenden Schulen und die Universitäten, im vorschulischen Bereich müssen die Eltern dagegen am meisten zuzahlen. Ein Studienplatz an der Humboldt-Uni kostet auf den Monat gerechnet 33 Euro, ein voller Kitaplatz ab nächstem Jahr zwischen 48 und 428 Euro. Kinder aus ärmeren Familien würden so benachteiligt, sagt Ehmann: Ihre Eltern können sich keine Ganztagsbetreuung leisten, sie haben so schlechtere Startchancen und schaffen es daher seltener auf Gymnasien und Unis. „Im Prinzip finanzieren sozial schwache Familien mit ihren Steuern die höhere Bildung der Bessergestellten, die ihren eigenen Kinder verwehrt bleibt.“
Inge Müller* und ihr neunjähriger Sohn sind so eine Familie. Die 47-jährige kommt mit ihrem Honorar als Sprachlehrerin auf monatlich 1.500 Euro brutto. Nach Abzug von Miete, Versicherungen, 48 Euro Hortgebühren et cetera bleibt nur noch wenig übrig. Im nächsten Jahr wird ihr Sohn zu alt für den Hort sein – „auf den ich absolut angewiesen bin“. Wer weiß, ob sie sich ein privates Betreuungsangebot wird leisten können. Und was, wenn der Junge Nachhilfe braucht oder sie ihm später einen Auslandsaufenthalt spendieren will? „Dann wird es eng“, sagt Inge Müller. „Die Erhöhungen der letzten Jahre bringen mich nicht um, aber sie sind ein Signal, dass der Politik die Bildung meines Kindes nichts wert ist.“
*Namen geändert