: Die Vernunft der Stammtische
betr.: „Florida-Rolf und die rechte Hirnhälfte der Sozialministerin Schmidt“, „Ein Makler, der seine Möglichkeiten nutzte“, taz vom 3. 9. 03, „Löchriges Sozialnetz Europa“, taz vom 4. 9. 03
Es ist egal, wo man seine Rente verlebt, das ist verdientes Geld. Wer aber Sozialhilfe bezieht, was den Steuerzahlern gehört, soll von dem Land Sozialhilfe beziehen, in dem er lebt.
HELGA HÖTZL, Berlin
Das Bild „Sozialhilfe unter Palmen“ kann in unser aller Reptilienhirn problemlos vervollständigt werden zu: Alle Sozialhilfeempfänger verarschen uns und schieben einen Lenz auf unsere Kosten. So nützlich, wie „Florida-Rolf“ war, habe ich mich zeitweise schon gefragt, ob er wirklich existiert. Sein Verdienst wird sein, dass in Zukunft alle Sozialhilfeempfänger unter Generalverdacht stehen. Ganz abgesehen davon bezweifle ich, ob man seine Lage wirklich rückwirkend ändern kann. Die Nachricht für mich wäre: Wer hat Florida-Rolf ge-/erfunden? DAGMAR SCHATZ, Straubing
Jeder, der diese Schlagzeile liest, aber über ein wenig Verstand und Anstand verfügt, ahnt, dass es hier um einen absoluten Ausnahmefall gehen muss. Also keiner größeren Rede wert, wie Barbara Dribbusch zu Recht anmerkt.
Nicht aber für Boulevardmedien und sonstige Propagandisten des Sozialabbaus. In ihrer pflichteifrigen Verbohrtheit ist ihnen kein Beispiel zu abseitig, damit sich die unteren Volksschichten an falscher Stelle aufregen. Und so wird der Fall auf die Frontseite gerückt, ergänzt von Kommentatoren, die vom Schreibtisch aus den betreffenden Sozialhilfeempfänger zum Simulanten und den behandelnden Arzt für verrückt erklären. Und das entscheidende Oberverwaltungsgericht schelten, dass es sich an das Gesetz und nicht an die Vernunft der Stammtische gehalten hat. Wie Letztere schleunigst zu harmonisieren sind, ist für Sozialdemokraten schon lange keine Frage mehr. KLAUS PRIESUCHA, Oldenburg
Vermutlich würde sich keiner über den guten Rolf beschwert haben, wenn nicht unser verehrtes Revolverblatt mittels geeigneter Aufmachung der arbeitenden Bevölkerung weisgemacht hätte, dass man einem Menschen sein persönliches und selbst aufgebautes Glück nicht gönnen darf. Frau Schmidt scheint sich weniger von seriösen psychiatrischen Gutachten als von der Boulevardpresse beeinflussen zu lassen.
An die Kandidaten der kommenden Landtagswahl also: Lassen Sie sich nicht wählen, werden Sie Chefjournalist – das ist viel subtiler und außerdem nicht so anstrengend. Sie kommen obendrein sogar öfters raus aus diesem Land, ein gutes Antidepressivum.
STEFFEN MÜLLER, München
Ein neues Gesetz für knapp 1.000 Einzelfälle? Da gibt es in diesem Land in der Tat Wichtigeres. Ich jedenfalls beneide einen psychisch kranken 64-Jährigen ganz bestimmt nicht und betrachte sein Dasein in Florida nicht als Dauerurlaub. Aber im Rahmen der Zwangsmobilität à la Hartz wird es ja ohnehin normal werden, Menschen aus ihrem sozialen Kontext zu reißen. Warum nicht also auch einen Sozialhilfeempfänger aus Florida, wo er seine sämtlichen Freunde hat? MARTIN BLOEM, Berlin