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Archiv-Artikel

JOHANNES RAU HAT VIEL ZUR GEISTIGEN DEBATTE BEIGETRAGEN Starker Mann, schwacher Abgang

Schade. Dass es keine zweite Amtszeit von Johannes Rau geben wird – und dass ausgerechnet dieser Bundespräsident seinen Abschied in so einer unpassenden Form angekündigt hat: auf einem Sommerfest mit Journalisten, bei dem Fernsehkameras nicht zugelassen waren. Die Bevölkerung musste draußen bleiben und sich mit Informationen aus zweiter Hand begnügen. Wenn das Staatsoberhaupt in dieser Form über seine Zukunft spricht, ist das im Fernsehzeitalter eine grobe Stillosigkeit. Allerdings eine, die viele Politiker begehen könnten, ohne dass es auffiele – weil man von ihnen ohnehin nichts anderes erwartet hätte. Es spricht für und nicht gegen Johannes Rau, dass ein derartiges Verhalten bei ihm überrascht.

Wie kein anderer Bundespräsident vor ihm kämpft nämlich gerade er gegen die Missachtung demokratischer Institutionen, Gepflogenheiten und Prozesse: ein Kampf, der niemals zuvor in der bundesdeutschen Geschichte vergleichbar nötig gewesen ist. Johannes Rau scheut sich nicht, in deutlichen Worten auch Parteien und Medien anzugreifen, wenn sie von den Hütern der Verfassung zu deren Totengräbern werden. Deutlich hat er Stellung bezogen zu den umstrittensten Themen der Zeit. Er hat die Ungerechtigkeiten der Globalisierung benannt, vor einem bedingungslosen Glauben an die vermeintlichen Segnungen unbegrenzter Forschung gewarnt. Und er hat begründet, warum der Krieg niemals ein Mittel der Politik sein darf.

Ist das jemandem aufgefallen? Zur geistigen Debatte in der Bundesrepublik hat Johannes Rau mehr beigetragen als Roman Herzog und Richard von Weizsäcker. Die intellektuellen Kernaussagen seiner Vorgänger waren schlicht genug, um sich notfalls auf einem T-Shirt oder auf einer Plakatwand unterbringen zu lassen – ein sicheres Erfolgsrezept. Der amtierende Präsident ist hingegen weder glamourös noch ein Quotenbringer, außerdem stammt er nicht aus dem Osten und ist auch keine Frau: Eigenschaften, die ohne Ansehen der Person als grundsätzlich erfreulich zu gelten scheinen.

Das ist Pech für Rau, da schwerlich korrigierbar. Aber er hätte aus seiner – scheinbaren – Schwäche eine Stärke machen können: Indem er nämlich einfach auf die Bedeutung seiner Rolle als mahnender Denker vertraut und sich einer möglichen Wahlniederlage gestellt hätte. Das wäre seine stärkste Aussage geworden, und zwar unabhängig davon, ob er damit ein messbarer Erfolg für ihn zu erringen gewesen wäre oder nicht. Natürlich hätte dabei die Person seines Gegenkandidaten eine zentrale Rolle gespielt. Aber Rau wäre allemal zu stark gewesen, als dass bloße Worthülsen als Werbemittel für seinen Rivalen genügt hätten. BETTINA GAUS