: Regeln müssen her? Bloß nicht!
Führende Industrieländer wollen in Cancún ein multilaterales Abkommen über Investitionen auf den Weg bringen. Sie haben entschlossene Gegner
von KATHARINA KOUFEN
Nehmen wir an, ein Zündkerzenfabrikant möchte einen Teil seiner Produktion ins Ausland verlegen. Er überlegt: Tschechien, Litauen, Mexiko – oder vielleicht China? In China sind die Umweltstandards am niedrigsten, die Kosten also geringer. Andererseits dürfen ausländische Investoren sich nur als Joint-Venture niederlassen – ein Teil der Gewinne bleibt also im Land. Außerdem gilt der Yuan als unterbewertet – was, wenn die Währung aufgewertet wird und er mehr Lohn zahlen muss? In Mexiko muss er mit Streiks rechnen, wenn er sich mit der Belegschaft anlegt, und das Lohnniveau ist viermal so hoch wie in China.
Der Mann braucht Investitionssicherheit. Verbindliche Gesetze, die festlegen, wer den Investor entschädigt, wenn Unvorhersehbares eintritt. Also soll sich die Welthandelsrunde schnell auf ein internationales Investitionsabkommen einigen.
Das ist unwahrscheinlich. Kaum ein Thema ist schon im Grundsatz so umstritten. Bereits Ende der 90er-Jahre bastelte die Welthandelsorganisation an einem „Multilateralen Abkommen über Investitionen“, kurz MAI. Das MAI scheiterte daran, dass sich die einzelnen WTO-Länder nicht einigen konnten – und am Widerstand zahlreicher MAI-Gegner. (Siehe Text unten). Seitdem liegt das Thema auf Eis. Für MAI-Befürworter gälte es schon als Sieg, wenn sich die WTO-Minister in Cancún darauf einigen könnten, überhaupt über ein solches Abkommen zu diskutieren.
Zu den lautesten Rufern nach einem neuen MAI gehören die USA, Japan, Korea, Taiwan – und Deutschland, das sich allerdings mit den anderen EU-Ländern abstimmen muss. Das federführende Wirtschaftsministerium denkt dabei vor allem an den deutschen Mittelstand: Der sei nicht in der Lage, für jede Investition die Gesetze eines jeden möglichen Gastlands zu erforschen, gibt Außenhandelsexperte Tillmann Rudolf Braun zu bedenken. Und deutsche Konzerne schrecken nicht selten vor attraktiven Geschäften im Ausland zurück, weil sie vielversprechende Investitonen haben scheitern sehen.
Doch die Bundesregierung denkt auch an die Schwellen- und Entwicklungsländer – schließlich haben die WTO-Staaten auf ihrem Treffen in Doha vor zwei Jahren versprochen, dass die neue Handelsrunde eine Entwicklungsrunde werden soll: „Direktinvestitionen wirken sich positiv für diese Länder aus“, meint Braun – eine bei MAI-Gegnern umstrittene Annahme.
Allerdings gehen innerhalb der Regierung die Meinungen auseinander. Ulf Jäckel, Handelsexperte im Umweltministerium, meint: „Es besteht die Gefahr, dass Investorenschutz über Umweltschutz gestellt wird.“ Auch Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul äußert sich zurückhaltend: „Die Entwicklungsländer werden darauf achten, dass erst einmal die gemachten Zusagen eingehalten werden, bevor sie sich auf neue Verpflichtungen einlassen.“
Viele Entwicklungsländer fürchten, dass ein Investitionsabkommen sie einem gnadenlosen Wettbewerb um den attraktivsten Standort aussetzt. Andere könnten sich dazu gezwungen fühlen, Investoren ins Land zu lassen, ohne die Folgen abschätzen zu können.
MAI-Gegner verweisen auf bereits gültige Investitionsabkommen wie das Regelwerk in der Nafta, der Freihandelszone zwischen den USA, Kanada und Mexiko. Auf Fälle wie den: Der US-Konzern Metalclad baute ohne Genehmigung eine Anlage zur Verbrennung von Giftmüll in Mexiko und verklagte anschließend die Regierung, weil sie die umliegende Region zum Naturschutzgebiet erklärte und Metalclad den Bau stoppen musste. Das Unternehmen bekam Recht – und 16 Millionen Dollar Entschädigung.
Zwar haben MAI-Befürworter wie die EU aus den Protesten Ende der 90er-Jahre gelernt und ihre Vorstellungen im Sinne der Gegner verändert. So wollen die Europäer jetzt doch nur noch Direktinvestitionen berücksichtigen, also Firmengründungen, Tochterniederlassungen und Übernahmen. Wer einfach nur Geld in Fonds oder Immobilien steckt, soll außen vor bleiben – zu schnell lässt sich solches Kapital bei Gefahr abziehen, zu groß sind dann die Schäden für das betroffene Land. Auch soll es Konzernen nicht möglich sein, einen Staat zu verklagen, sondern klagen dürfen nur die Staaten selbst.
Doch die Kritiker bleiben skeptisch: Sie fürchten, dass sich sogar Befürworter eines „harten“ MAI durchsetzen. Dann stünde das MAI wieder auf der Agenda und müsste – so der Zeitplan – bis 2005 in Form gegossen werden.