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Archiv-Artikel

Die alten Eisenpuschen kommen ins Museum

Auf dem Rangierbahnhof Gremberg im Südosten Kölns hält modernste Computer- und Radartechnik Einzug. Das Ausbremsen der Waggons beim Rangieren ist künftig Sache des Rechners, menschliche Steuerung wird ab 2006 nach und nach überflüssig. Der Beruf des Hemmschuhlegers auch

Von Silke Freude

Auf dem Rangierbahnhof Gremberg im Südosten Kölns wird modernisiert: Alle Schienen müssen für das neue elektronische Steuersystem um Zentimeter zur Seite versetzt und anders geneigt werden. „Im Prinzip ist der Rangierbahnhof nichts anderes als eine riesige Sortiermaschine“, erklärt Baustellenkoordinator und Gruppenleiter Detlev Hamer von der Railion, einer Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn AG. „Die Technik stammt aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.“

Rund 85 Millionen Euro lässt es sich die Bahn kosten, die Kölner Sortiermaschine Gremberg in den nächsten viereinhalb Jahren zu modernisieren. Das Funktionsprinzip bleibt dabei unverändert: Güterzüge fahren auf „Zufahrtsgleise“, wo die Waggons abgekoppelt werden. Je nach Bedarf schiebt dann eine Lok die erforderliche Menge Waggons einen Hügel hoch – eben den „Nordberg“ oder „Südberg“, je nachdem, ob die Züge hinterher in Nord-Süd oder in West-Ost-Richtung weiterfahren sollen. Die tonnenschweren Waggons werden über die Kuppe geschubst und laufen dann, dirigiert über Weichen und von der Schwerkraft gezogen, auf ein neues Gleis – diesmal in der richtigen Reihenfolge. Ob offene oder geschlossene Wagen, beladene oder unbeladene, Feststoffe oder Flüssigkeiten transportierende, ist für die Rangierer zweitrangig. Nur eins eint die neu zusammengefügten Einzelteile: dass sie in eine Richtung wollen.

Bis zu 700 Meter lange und 1.600 Tonnen schwere Güterzüge darf die Gremberger Anlage bilden. Würde man die Wagen ungebremst vom Berg rollen lassen, käme die Neuverkupplung auf brutale Weise zu Wege: nämlich per Auffahrunfall. Damit das nicht passiert, ist am Hang ein mehrstufiges Bremssystem installiert worden: Als erstes drücken so genannte „Richtungsgleisbremsen“ ihre metallenen Schienenbacken an die Räder, um den Wagen vorzustoppen. In der zweiten Stufe, bevor der Waggon auf „sein“ Gleis fährt, bremst die „Gefälleausgleichsbremse“ nach; spätestens jetzt hat das Gefährt nur noch Schritttempo.

Doch was danach kommt, ist einer der gefährlichsten Tätigkeiten: Die „Hemmschuhleger“ legen im passenden Abstand zum Vorwaggon einen metallenen Keil auf die Schiene: den Hemmschuh. Stößt der rollende Wagen auf diese sechs Kilo schweren Eisenpuschen, dann kommt er kreischend nach spätestens zehn Metern Bremsweg zum Stehen. Dann müssen die neu gemischten Wagen nur noch verkuppelt werden.

Der Job des Hemmschuhlegers klingt einfacher als er ist. Denn er muss den Bremsweg des Wagens abschätzen, damit der nicht auf seinen Vorgänger knallt oder zu früh stehen bleibt. Was aber noch viel gefährlicher ist: „Die meisten Rangierarbeiten laufen nachts ab, im Herbst und Winter auch oft bei Nebel“, erzählt Hamer. Bei solchen Nacht- und Nebelaktionen muss ein Hemmschuhleger seine Sinne über Gebühr anstrengen, denn wenn er auf den Gleisen herumspringt, hört er den Waggon weder anrollen – weil der Nebel die Geräusche schluckt –, noch sieht er ihn. Denn die Wagen haben kein Licht. Nur eine Flutlichtanlage und ein paar Laternen beleuchten das Areal.

Zwar freut sich Gruppenleiter Hamer: „In den 13 Jahren, die ich hier bin, ist noch kein einziger Unfall bei den Hemmschuhlegern passiert.“ Dennoch macht Computer- und Radartechnik ab dem Jahr 2006 nach und nach das Hemmschuhlegen überflüssig. Der Rechner steuert über Funk die Abdrücklok, menschliche Steuerung wird damit überflüssig. Eine Waage auf der Kuppe erfasst das Gewicht der Waggons. Mehrere hintereinander geschaltete Radarstationen messen dann die Geschwindigkeit, mit der die Wagen vom Berg herunter rollen. „Damit haben wir die beiden wichtigen Variablen zur Messung des Bremsweges“, erläutert Detlev Hamer. Für den neuen zentralen Rechner sei es damit kein Problem, die Wagen punktgenau abzubremsen. Und die letzten paar Meter bis zum Puffer schiebt dann eine mobil einsetzbare Förderanlage. Der Rechner steuert auch die neuen Hydraulikbremsen. Das sind kleine Stempel im Gleis, die von den Reifen der Lok heruntergedrückt werden. Der Widerstand der Stempel wird vom Rechner aus gesteuert. Wird er größer, steigt auch die Bremskraft.

Und der Nutzen? 140 Wagen können in Gremberg zurzeit pro Stunde abgefertigt werden. Durch die Modernisierung soll der Umschlag auf 165 erhöht werden. Für die 45 Hemmschuhleger von Gremberg bedeutet das, sie verlieren ihre vertraute Tätigkeit, aber nicht ihren Job. „Wir entlassen keinen, setzen allenfalls auf natürliche Fluktuation“, sagt Gruppenleiter Hamer. Alle Hemmschuhleger hätten eine Rangiererausbildung und könnten auch an anderer Stelle eingesetzt werden. Nach Hamers Erfahrung steigt der Güterverkehr auf der Schiene seit Jahren überproportional an. Da werde es für die Kollegen durchaus noch etwas zu tun geben.