: berliner szenen Am Winterfeldtplatz
Von 10 bis 11 Uhr
Ein großes V liegt über dem Platz. Das wird mir an diesem heißen Dienstag im August um 10.33 Uhr klar. Würden die Gänge der Menschen über den Winterfeldtplatz Spuren hinterlassen (so wie beim Computerspiel Siedler), hätte sich dieser Buchstabe längst in das Pflaster eingegraben. Der Punkt, an dem sich die Linien treffen, läge am Zebrastreifen über die Winterfeldtstraße. Von hier aus teilen sich die Schenkel – einer rechts am Restaurant Lades vorbei, dann längs über den Platz und rechts vorbei an der Kirche; der andere genau dasselbe, nur links an Lades und Kirche vorbei. Alle Passanten gehen zu dieser Stunde einen dieser beiden Wege: von der Goltz- oder der Gleditschstraße Richtung Maaßenstraße oder gleich Richtung U-Bahn Nollendorfplatz. Kaum jemand geht quer über den Platz – im Berichtszeitraum geschah das nur einmal (etwa 35-jähriger Mann mit Kampfhund).
Und weiter geht es mit knallharten Beobachtungen. Und zwar sitzen um 10.10 Uhr im Tim’s: 5 Frauen jeweils allein an einem Tisch, 1 Mann allein, 2 Paare. Im Lades: 1 Mann allein (kennt die Bedienung), 1 Paar. Bei Miss Moneypenny: 2 Frauen allein an einem Tisch, 2 Frauen zusammen, 1 Mann allein. Um 10.20 Uhr treffen dann die ersten Verabredungen ein: 2 Frauen und 1 junger Mann im Tim’s.
Großer Frauenüberschuss also, was immer das bedeuten mag (allerdings sitzen 4 Männer auf der Hartz-IV-Kandidatenbank schräg vorm Tim’s). Der Habitus vermittelt den Eindruck: Das sind Leute, die den Tag einfach mal ruhig angehen lassen. Unterschied zu Kreuzberg: Es gibt keine Verkaterten. Unterschied zur Kastanienallee: In Schöneberg geht es jetzt nicht um Kontaktpflegearbeit. DIRK KNIPPHALS
(11 bis 12 Uhr: kommenden Freitag)