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Archiv-Artikel

Der sozialistische Bruderkuss als Marke

Über Umwege fanden ein Punk und ein Staatswissenschaftler zur Gastronomie. Heute betreiben sie das East Side Hotel an der Mauergalerie. Ihr lockerer Umgang mit DDR-Geschichte gefällt Musikern – und mittlerweile sogar den Banken

„Mit dem ‚Haste ma ne Mark‘ der West-Punks konnte ich sowieso nie was anfangen“„Wir investieren viel in Haus und Team, klassisches Profitstreben ist uns fremd“

Den „Bruderkuss“ von Erich Honecker und Leonid Breschnew gibt es an der East Side Gallery gleich zweimal. Als Mauergemälde sowie als dessen Duplikat auf einem Pylon vor dem benachbarten East Side Hotel. Als Matthias Fritzsch 1996 das Haus mit seinen 36 Zimmern eröffnete, fand er es witzig, das Bild mit der berüchtigten Schmuseszene als Markenzeichen zu verwenden. Es passte zur Lage, es schien eine gute Idee. Kurze Zeit darauf war er nicht mehr so sicher, denn einige Leute fanden sie gar nicht lustig. Es gab Anrufe mit wüsten Beschimpfungen und sogar Drohbriefe.

Richtig unangenehm wurde es jedoch, als ein westdeutscher Reiseveranstalter auf den geplanten Vertrag mit dem Hotel verzichtete, nachdem er das Logo auf dem Briefkopf entdeckt hatte. Daraufhin meinte sogar die Bank des Junghoteliers, das Logo müsse weg. Doch der behielt es. Das „Stück Provokation“ war schließlich auch eine kleine Reminiszenz an seine DDR-Vergangenheit.

Matthias Fritzsch gehörte in den 80er-Jahren zur Ostberliner Punkszene. Oft besuchte er entsprechende Konzerte in Kirchen, mit manchem Stasispitzel im Schatten. „Ich war kein Hardcore-Punk“, sagt der 37-Jährige, „mich interessierte vor allem die Musik.“ Und anarchistische Literatur. Weil er über die Küchenphilosophie hinausgehen wollte, beschäftigte er sich intensiv mit den Klassikern antiautoritärer Denkmodelle, von Bakunin bis Stirner. „Ich fühlte mich schon als Anarchist.“ Theoretisch.

Praktisch machte er eine ordentliche Lehre als Feinmechaniker beim VEB Stern Radio. Als ihm eine Weiterqualifizierung nur zugesichert wurde, wenn er drei Jahre zur Armee ginge, warf er den Job hin. Weil er von der Aussicht auf eine konventionelle Werktätigenlaufbahn genug hatte und lieber irgendwann eine Kneipe eröffnen wollte, entschied er sich, Koch zu werden. Nach seinem NVA-Dienst begann er 1990 ein Studium an der Berliner Hotelfachschule. Zwei Jahre später war aus dem einstigen Punker ein staatlich geprüfter Betriebswirt geworden.

Nicht dass ihn das in eine Sinnkrise gestürzt hätte. „Mit dem ‚Haste ma ne Mark‘ der West-Punks konnte ich sowieso nie was anfangen“, sagt er heute. Aber seinem Lebenstraum vom selbstbestimmten Arbeiten war er vorerst nicht näher gekommen. Dafür bestärkten ihn die täglich 15 Stunden Plackerei in einem Steakhaus am Ku’damm, diesen Traum nicht aufzugeben.

Auch in seiner Stammkneipe in Prenzlauer Berg erzählte Fritzsch, dass er irgendwann sein eigenes Hotel haben werde. Die meisten Kumpels belächelten ihn. Karsten Tietz, der in der Kneipe hinterm Tresen stand, meinte nur: „Sag mir Bescheid, wenn es so weit ist!“ Matthias kannte er eher flüchtig, und er hatte mit ihm eigentlich nur eins gemeinsam: den seltsamen Weg in die Gastronomie.

Der aus Sachsen-Anhalt stammende gelernte Kali-Bergmann hatte nach einem Studium der Staatswissenschaften 1989 in der Volkskammer als Mitarbeiter in einem der Fachausschüsse begonnen. Angesichts des perspektivlosen Jobs wechselte er 1990 in ein Hotel der Volkskammer, das nach den ersten freien Wahlen eigens für die nunmehr oft anwesenden Abgeordneten eröffnet worden war. Das Gastronomiegewerbe gefiel ihm so, dass der Bundestags-Angestellte sogar auf eine Übernahme als BGS-Beamter verzichtete und später mit Freunden jene Szenekneipe gründete, zu deren Stammgästen Matthias Fritzsch bald gehörte.

Der hatte inzwischen zwei Jahre lang mit Konzepten für sein Hotel bei den Banken Türen eingerannt. Ohne Erfolg. 1994 bewilligte ihm die IBB doch noch einen Kredit, mit dem er weitere bei den Banken bekam. Fritzsch kaufte die denkmalgeschützte Ruine eines ehemaligen Verwaltungsgebäudes vom VEB Kühlautomat an der East Side Gallery. Zu einem völlig überhöhten Preis, wie er hinterher feststellte. Der Umbau dauerte anderthalb Jahre, in denen Fritzsch auch die real-anarchistische Seite der Marktwirtschaft kennen lernte.

Im April 1996 eröffnete er das East Side Hotel und holte sich Karsten Tietz als Hotelmanager. Die Männer mit der seltsamen Berufslaufbahn verstehen ihr Handwerk. Auch in der gegenwärtigen Krise der Branche behauptet sich das East Side Hotel gut, denn der Ex-Punk und der Ex-Staatswissenschaftler haben das Prinzip Dienstleistung in der Marktwirtschaft verstanden. Es gibt rund um die Uhr Gastronomie und Zimmerservice. Das loben sich vor allem Geschäftsreisende und Künstler.

Im Gästebuch finden sich die Namen bekannter DJs und Bands wie Iron Maiden, Spandau Ballet oder Xavier Naidoo. Auch die Punkband UK Subs, von der Matthias Fritzsch in der DDR seine erste Westplatte hatte, war hier. Die Musiker lieben die Atmosphäre in dem Haus, das gelegentlich schon mit der legendären Musikerherberge „Chelsea“ in New York verglichen wurde.

Das East Side Hotel ist längst auch als Förderer der Künste bekannt. So bestehen gute Kontakte zur Künstler-Initiative East Side Gallery, die man ebenfalls unterstützt. Einige der Maler haben ihre künstlerischen Spuren sogar im Hotel hinterlassen. Zuweilen mit einem ironischen Anstrich wie auf dem Hotelflur, wo ein lebensgroß gemalter Erich Honecker aus der Zimmertür schaut. Mit Ostalgie habe das nichts zu tun, sagt der 39-jährige Tietz, sondern mit einer nicht geleugneten Verbundenheit zur eigenen Herkunft. Deshalb bekommen Anrufer in der Telefonwarteschleife auch schon mal Ostrock-Hits zu hören.

Man könnte die beiden Hoteliers als Wendegewinnler bezeichnen, fühlen tun sie sich nicht so. „Wir investieren viel in unser Haus und unser Team, klassisches Profitstreben ist uns fremd“, sagt Tietz. Deshalb unterstützt das East Side Hotel nicht nur aus Marketinggründen Veranstaltungen wie Fête de la Musique oder demnächst das Internationale Literaturfestival. Auch Projekte in der Nachbarschaft werden gefördert. So bekam der Sportverein SV Sparta Lichtenberg Geld für einen Satz Fußballtrikots – allerdings ohne das Hotel-Logo.

Dabei stört sich am Bruderkuss längst niemand mehr. Auch nicht die Bank. Matthias Fritzsch: „Die empfiehlt uns inzwischen: Bauen Sie die Marke aus!“ Jetzt plant er erst mal einen Hotelanbau. GUNNAR LEUE