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Archiv-Artikel

Ein schaler Beigeschmack

Die Eisbären Berlin starten mit einem 8:2 über Freiburg in die Saison. Vor allem die Nachwuchspieler konnten überzeugen. Doch viele Fans feiern nur zwei Spieler: die in Schweden inhaftieren Profis

Die Affäre um die Vergewaltigung lastete allzu schwer auf dem Spiel

von ANDREAS RÜTTENAUER

Es waren doch auffällig viele Sitze leer geblieben zum Saisonauftakt des EHC Eisbären in der DEL. Ein gellendes Pfeifkonzert hallte durch die Arena, als der Stadionsprecher die Zuschauerzahl verkündete: 4.500. Das hatte es selten gegeben, dass die Halle zum Saisonauftakt nicht ausverkauft war. Hatten die Vorfälle im schwedischen Trainingslager doch ihre Spuren hinterlassen? Hat der Club schon die Folgen eines Imageverlustes zu tragen? Vor den Bierständen, in der Schlange zum Toilettenhäuschen, im Pressecontainer – überall wurde vor dem Spiel und in den Drittelpausen über die schwedische Angelegenheit diskutiert.

Es lag eine merkwürdige Stimmung über der Sportveranstaltung am Freitagabend in Hohenschönhausen. Die Stimmung im Wellblechpalast, in dem schon DDR-Nostalgieshows gefeiert wurden, als man im Samstagabendprogramm der großen TV-Sender noch die Wiedervereinigung besungen hat, wollte so recht nicht ins Brodeln kommen. „Brad Bergen“, „Yvon Corriveau“ immer wieder skandierte ein Großteil der Fans die Namen der zwei Spieler, denen von der schwedischen Staatsanwaltschaft vorgeworfen wird, eine junge Frau vergewaltigt zu haben. Die beiden spielten mit am Freitag, obwohl sie ganz weit weg in Untersuchungshaft saßen.

Immer wieder richteten sich die Augen der Zuschauer auf den Fanblock, in dem die lautesten und treuesten Eisbärenfans stehen. Was würden sie sich heute einfallen lassen? Bei einem Testspiel vor Wochenfrist zeigten sie den Spielern Transparente, in denen vor allem die Presse dafür verantwortlich gemacht wurde, dass zwei Berliner Eishockeyspieler in Schweden einsitzen müssen. Doch es kam nichts Derartiges. Die Boulevardpresse hatte den Fans rechtzeitig vor Saisonbeginn ein Brücke gebaut.

„Das angebliche Eisbären-Opfer – lügt sie?“, hatte die BZ am Spieltag im Sportteil getitelt und in Schweden Aussagen recherchiert, die das Opfer zur Täterin machen sollten: „Wenn es eine gibt, die sofort mit mehreren Männern mitgehen würde – dann die“, wurde ein schwedischer Irgendwer zitiert.

Auch in der Mannschaft ist sicherlich viel diskutiert worden über die Vorfälle im Trainingslager. Die zwei Inhaftierten waren schließlich nicht allein unterwegs. Man durfte gespannt sein, wie sie all den unerwünschten Rummel wegstecken würde. Notgedrungen – neben den zwei inhaftierten und mittlerweile suspendierten Spielern fehlten drei weitere erfahrene Spieler – hatte der EHC-Coach Pierre Pagé eine äußerst junge Mannschaft aufgeboten.

Die hatte großes Glück, dass sich der erste Saisongegner alles andere als reif für die DEL präsentierte. Die Freiburger Wölfe, der erste echte Aufsteiger in der Geschichte der Deutschen Eishockey-Liga, stellte sich vor allem in Unterzahl derart ungeschickt an, dass es schon nach zwölf Minuten 5:0 für die Gastgeber stand. Die Mannschaft wurde gefeiert, statt aber die Namen der Torschützen zu skandieren, wurden die Namen Corriveau und Bergen aus der Kurve gebrüllt. Dabei hätte es den erst 18-jährigen Torschützen Mathias Forster und André Rankel sicherlich gut getan, wären sie von den Fans besungen worden. Doch der Schatten der Vergewaltigungsaffäre lastete allzu schwer auf dem Spiel.

Am Ende waren die Liga-Neulinge mit der 2:8-Schlappe noch gut bedient. Nach der Schlusssirene begann die Prozedur der Ehrenrunden. Zu Recht ließen sich die Spieler von den Zuschauern für eine ordentliche Partie feiern. Keith Aldrigde nahm seine zwei kleinen Kinder auf den Arm und fuhr Richtung Kurve. Erinnerungen wurden wach. Auch die inhaftierten Bergen und Corriveau hatten sich nicht selten in der Rolle des liebenden Familienvaters präsentiert. So hatten selbst die Feierlichkeiten nach dem Sieg einen schalen Beigeschmack.

„Yvon Corriveau!“ Auch nach Spielende wurde wieder einer besungen, der gar nicht mitgespielt hatte. Eishockey ist bei vielen Fans auch deshalb so populär, weil das Schaulaufen harter Männer unter Wettkampfbedingungen auch das eigene Selbstwertgefühl zu heben scheint. Wer allein durch sportliche Leistung überzeugen will, hat es da schwer. Betroffen davon waren am Freitagabend die jungen Nachwuchsspieler der Eisbären, die wirklich überzeugt haben. Doch das wurde vor allem von den Trainern und Journalisten gewürdigt.