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Archiv-Artikel

Vier in einer Bank

aus Nairobi ILONA EVELEENS

Es ist düster in der Schule, aber aus jedem Zimmer dringt Lärm. Sogar die Bibliothek der Riruta-Grundschule in Kawangware wurde leer geräumt und für 86 Kinder der ersten Klasse zum Unterrichtsraum umfunktioniert. Dass der Unterricht im Halbdunkel stattfindet, liegt daran, dass die Lehrer auch an diesem bewölkten Tag das Licht nicht anschalten können. Die Elektrizitätswerke haben den Strom abgestellt, weil die Rechnung nicht bezahlt wurde. Gerade ist ein Arbeiter damit beschäftigt, die Verstopfung in zwei Mädchentoiletten zu beseitigen. Überall sind Schüler. Und zwischendrin steht die stellvertretende Schulrektorin Margaret Muhia und sagt, was jeder sehen kann: „Wir sind überfüllt und überfordert.“

Sicher, die Betonfußböden in der Schule waren schon im vorigen Jahr rissig und auch die Fensterrahmen sind nicht erst seit kurzem morsch. Neu ist, dass Margaret Muhia und ihre 26 Kolleginnen und Kollegen nicht mehr 1.000, sondern 1.654 Mädchen und Jungen unterrichten. Seit Mwai Kibaki Anfang des Jahres den 24 Jahre regierenden Daniel arap Moi als kenianischen Präsidenten abgelöst hat, ist die Schulbildung bis zur achten Klasse gebührenfrei. Nur die Schuluniform müssen die Eltern bezahlen – selbst das können sich nicht alle Familien leisten in einem Land, in dem mehr als die Hälfte der Menschen mit einem Euro pro Tag auskommen muss.

Aber auch in Kawangware können jetzt mehr Kinder zur Schule gehen, obwohl das Viertel am Rand der Hauptstadt Nairobi arm ist. Zwischen Steinhäusern sind Hütten aus Pappe und Plastik gestopft. Enge, holprige Straßen sind kaum für Autos befahrbar. Die meisten hier kamen vom Lande in die Hauptstadt, um hier mehr Geld zu verdienen. Aber viele sind arbeitslos, andere sind Tagelöhner. Nur in den besseren Teilen des Viertels leben Polizisten, Krankenschwestern oder Lehrer.

Eine der neuen Schülerinnen ist die zehnjährige Magdaline Agwanda. Für sie ist ein Wunsch in Erfüllung gegangen. „Jetzt kann ich lesen. Ich liebe Bücher und will Lehrerin zu werden“, sagt das Mädchen. „Auch mein Bruder geht jetzt in die Schule. Vorher konnten unsere Eltern sich das nicht leisten.“

In Kawangware

Margaret Muhia ist 55 und unterrichtet seit 25 Jahren an der Riruta-Schule in Kawangware. Sie freut sich darüber, dass mehr Kinder in die Schule gehen können. Die Nachteile nimmt sie in Kauf. Jedes Buch teilen sich mindestens zwei Kinder. An einer Schulbank für zwei sitzen jetzt vier Kinder. Wenigstens hat die Schule ein paar hundert Euro extra von der Regierung bekommen, aber auch das reicht kaum für Hefte, Kreide und Bleistifte. Langsam wird es schwer. Muhia hatte schon immer Klassen mit 45 bis 50 Kindern. Aber nun sind es doppelt so viele. „Wie soll ich da jedem genug Aufmerksamkeit geben?“, fragt sie. „Die langsamen Kinder sind die Opfer.“

Muhia hofft, dass das Ausland Kenia unterstützen wird. So sei die Lage erst einmal in den Griff zu kriegen. Dann müsse die Korruption bekämpft werden, durch die in den letzten Jahren so viel Geld verschwunden sei. „Ich bin sicher, dass Kenia nach drei Jahren den Gratisunterricht selbst finanzieren kann.“

Auf dem Pult von Margaret Muhia liegt eine Zeitung mit einen Bericht darüber, wie vor zehn Jahren 625 Millionen Euro aus der Staatskasse verschwanden. Wie die meisten Kenianer glaubt Margaret Muhia, dass die neue Regierung von Präsident Kibaki aus Kenia ein besseres, weniger armes und weniger korruptes Land machen wird.

15 Kilometer von Kawangware entfernt, in der Innenstadt von Nairobi, liegt das Kultusministerium. Das Gebäude hat schon bessere Zeiten erlebt. Die meisten Räume sehen schäbig aus, die Möbel sind meist wackelig. Aber das Arbeitszimmer des Ministers ist frisch gestrichen. George Saitoti ist eine stramme Erscheinung. Er schaut scharf durch seine Brille und lächelt selten. Früher hat er als Professor Mathematik gelehrt. In der ehemaligen Kanu-Regierung von Moi war er Vizepräsident und Finanzminister. Die Politik des neuen Präsidenten vertritt der Minister mit Bestimmtheit: „Das Geld für mein Ministerium ist eine Investition in die Zukunft“, sagt Saitoti, „Unterricht ist die Basis für die Verringerung der Armut.“

Allerdings hat Gratisunterricht in den Sechziger- und Siebzigerjahren in sozialistisch geführten Ländern wie Sambia und Tansania für große wirtschaftliche Probleme gesorgt. Aber Saitoti sagt: „Wenn wir die Korruption in den Griff bekommen, kann dieses Land den Unterricht seiner Kinder finanzieren. Es wird für Kenia nicht der Untergang sein. Im Gegenteil!“

Seine Sorgen, die Grundschulen betreffend, sind schon weniger geworden. Jetzt zerbricht er sich den Kopf darüber, wie mehr Kinder ab der achten Klasse die Sekundarschule besuchen können, wie er Berufsausbildungen und die Universitäten verbessern kann. „Es muss alles vor den nächsten Wahlen 2007 geschaft sein.“ Auch der Minister sagt: „Vorläufig brauchen wir jede Hilfe, die wir bekommen können, aber eines Tages machen wir es alleine.“

Nicht weit von der Riruta-Schule in Kawangware steht die Gentiana-Grundschule. Der Fußboden besteht aus gestampfter Erde. Aber die hölzernen Schulbänke sehen solide aus, und an jeder Schulbank sitzen nur zwei Kinder. Die Kleidung der Schüler sieht allerdings noch ärmlicher aus als die der Kinder von der Riruta-Schule. „Unsere Kinder gehören zu den Ärmsten dieses Armenviertels“, sagt der 31-jährige Schulleiter Eric Lumosi. Im Allgemeinen arbeiten kenianische Lehrer nicht gern in Slums. Aber die zwölf Lehrer der Gentiana-Schule haben Spaß an ihrer Arbeit. Stolz zeigen sie Hefte der Kinder vor. Die Leistungen sind beeindruckend. Eric Lumosi sagt: „Wir haben nur 265 Kinder und Zeit, um uns mit allen Kinder zu befassen – ob sie langsame oder schnelle Schüler sind.“

Gentiana ist eine Privatschule. Aber die Gebühren betragen nur 1,50 Euro pro Monat, um die Miete der Schule zu finanzieren. Gentiana wird von einem Schweizer Journalisten und einigen anderen Spendern finanziert. Der Namen der Schule, das englische Wort für Enzian, erinnert die Kinder an ihre Spender, die meistens aus der Schweiz kommen.

Neben den normalen Curricula, denen auch auf den Staatsschulen gefolgt wird, gibt es hier vier weitere Fächer. „Wir unterrichten über Gewalt in der Familie. Unsere Schüler kommen aus zerrütteten Familien, wo Streitereien oft mit Gewalt zusammengehen“, sagt der Schulleiter. Zudem gibt es Sexualunterricht, Ökologie und Debattenklassen. „Diese Woche sprechen wir zum Beispiel über das Parlament, die Kinder spielen die Rolle der Parlamentarier“, erklärt Lumosi.

Der Schulleiter ruft einen Schüler aus der siebten Klasse. Peter Nganga ist 15 Jahre alt und spricht hervorragendes Englisch. Seine Eltern haben keine Arbeit. Trotzdem geht er in die Schule, seit sie vor drei Jahre gegründet wurde. Er hofft auf einen Sponsor, damit er nach der achten Klasse auf die Sekundarschule gehen kann. „Ich will Ingenieur werden und ich weiß, dass ich schlau genug dafür bin.“