piwik no script img

Archiv-Artikel

Flucht auf schnellen Beinen

Erst am Montag entscheidet das IOC über die beiden griechischen Sprint-Helden Ekaterini Thanou und Kostas Kenteris, denen vorgeworfen wird, sich einer Dopingkontrolle entzogen zu haben

So gut wie nie gibt der schnelle Herr Kenteris seine Sprintkünste zum Besten

AUS ATHEN FRANK KETTERER

Am Tag der Eröffnung zeigte sich der olympische Geist mächtig gelähmt, und zu lesen war das in großen Buchstaben in der griechischen Sportzeitung To Fos. „Ganz Griechenland ist plötzlich erstarrt“, titelte das Blatt – und im Prinzip war diese Feststellung sogar noch untertrieben. Denn nicht nur Griechenland zeigte sich gestern geschockt, sondern ganz Olympia und somit die gesamte Sportwelt. Und ausgelöst wurde diese kollektive Lähmung durch einen Dopingskandal, der sich just 24 Stunden, bevor das große Feuer entzündet wurde, zugetragen hatte: Am Donnerstagabend war bekannt geworden, dass die griechischen Sprinter Kostas Kenteris und Ekaterini Thanou sich einem Dopingtest entzogen hatten. Als der Dopingfahnder an die Tür der beiden im olympischen Dorf geklopft hatte, ward ihm nicht aufgetan, auch Ioannis Papadogiannakis, der Chef de Mission der griechischen Olympiamannschaft, hatte angeblich keine Ahnung, wo sich der Olympiasieger über 200 Meter von Sydney und die Sprint-Europameisterin aufhielten. Auch die eingeräumte Frist, sich binnen zweier Stunden in der Athletendorfklinik einzufinden, um dort ins Becherchen zu pinkeln, hielten die beiden Sportstars nicht ein, stattdessen sollen sie das olympische Dorf ziemlich fluchtartig verlassen haben.

In der Welt der Leichtathletik ist dieses Verhalten freilich nicht ganz neu, eher schon ist es guter Brauch. Dass Kenteris schlagartig das Weite sucht, wenn er einen Dopingfahnder auch nur nahen ahnt, weiß man seit langem. Schon im Vorjahr waren er und seine Teampartnerin Ekaterini Thanou besonders unangenehm aufgefallen, als sie einfach so in ein Trainingslager nach Katar entschwanden, ohne, wie es Athletenpflicht gewesen wäre, den Dopingkontrolleuren dies mitzuteilen. Denen hatten sie weisgemacht, sie würden sich in Kreta aufhalten.

Zwar hatte der Internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) damals schon erkannt und offiziell auch gerügt, dass Athleten aus Hellas oft nicht auffindbar seien für Tests, mit einer Strafe belegt hat die IAAF den Vorfall allerdings nicht. Da Kenteris auch bei den lukrativen Sportfesten, von absoluten Topereignissen einmal abgesehen, so gut wie nie seine Sprintkünste zum Besten gibt, kann er auch dort nicht auf seine Reinheit überprüft werden. Derweil festgehalten werden muss, dass Kostas Kenteris noch nie mit Unerlaubtem im muskelbepackten Körper angetroffen wurde. Viel heißen muss das aber nicht bei einem, der sich erst gar nicht kontrollieren lässt, nur bei Großereignissen auftaucht, kurz mal Weltklasseleistungen abliefert und gleich darauf wieder verschwindet.

Sein Trainer Christos Tsekos sagt: „Gedopt sind Sportler nur dann, wenn sie überführt werden.“ Aber auch das klingt ein bisschen seltsam aus dem Mund von einem, der rein zufällig mit Nahrungsergänzungsmitteln handelt und zudem eng mit Christos Iakovou, dem nicht minder erfolgreichen und verdächtigen Trainer der griechischen Gewichtheber zusammenarbeitet, dem wiederum gute Kontakte zur osteuropäischen Dopingmafia nachgesagt werden. Erwähnenswert könnte auch sein, dass Thanou und Kenteris am Donnerstag erst aus einem Trainingslager in den USA nach Griechenland gereist sein sollen – und damit aus jenem Land, in dem derzeit der Balco-Skandal um die Designerdroge THG wütet. Auch dort hatten Dopingkontrolleure im Übrigen vergeblich nach ihnen gefahndet. Bei der angegebenen Adresse in Chicago wurden die griechischen Hoffnungsträger für Olympia nicht angetroffen. Ganz andere Informationen hat das Athener Blatt Eleftherotypia, dem zufolge die beiden schon seit dem 5. Juli in einem Dorf nahe Korinth weilten.

So fügt sich eins zum anderen, und so ganz vorbehaltlos kann man der schnellen Frau Thanou und dem noch schnellere Herrn Kenteris deshalb nicht mehr entgegentreten, dafür ist einfach schon zu viel vorgefallen. Befremdlich wirkt deshalb auch, dass IAAF-Generalsekretär Istvan Gyulai die beiden zunächst in Schutz nahm, obwohl er es besser wissen musste. „Die Athleten konnten nicht informiert werden. Der Teamleiter berichtete, dass er sie nicht finden konnte. Es liegt bislang kein Beweis vor, dass dies als Verweigerung interpretiert werden muss“, kommentierte der Ungar den aktuellen Fluchtversuch.

Ob man das so sehen kann, wird sich freilich erst noch erweisen müssen, die Disziplinarkommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) wird darüber zu befinden haben. Zur Auswahl hat das Gremium unter dem Vorsitz des deutschen IOC-Vizepräsidenten Thomas Bach im Prinzip zwei Versionen: Haben Thanou und Kenteris die Kontrolle verpasst, weil sie von nichts wussten, dann werden die beidennur verwarnt, weil sie ihren Aufenthaltsort am Donnerstagabend nicht mitgeteilt hatten. Befindet die Kommission aber, dass sich die beiden den Tests absichtlich entzogen haben, wird der Fall wie eine positive Probe gewertet, was eine Sperre von zwei Jahren nach sich zieht.

So einfach wird die Angelegenheit freilich nicht über die Bühne gehen, dafür haben Kenteris und Thanou schon noch gesorgt. Denn kurz nachdem öffentlich geworden war, dass die beiden für den Dopingfahnder unauffindbar waren, wurde plötzlich auch bekannt, dass sie in der Nacht auf Freitag (und damit ein paar Stunden nach dem versäumten Test) angeblich einen Motorradunfall hatten, aus unbekannten Gründen, wie es heißt. Kenteris soll das Bike gesteuert haben, Thanou sei hintendrauf gesessen. Da die beiden auch gestern noch mit leichten Verletzungen im Krankenhaus weilten, blieb ihnen vorerst die Anhörung durch die IOC-Disziplinarkommission erspart. Das IOC vertagte daraufhin, „um einen fairen Prozess sicherzustellen“, Anhörung und Entscheidung auf Montag. Es sei denn, Kostas Kenteris und Ekaterini Thanou flüchten erneut.